Die verbaute Hauptstadt

Ein Jahr Masterplan: Trotz Kritik, Überarbeitungen und vielen Einzelplänen ist das Planwerk Innenstadt mittlerweile an seinem Totalitätsanspruch gescheitert  ■ Von Rolf Lautenschläger

Daß große städtebauliche Visionen oft nur Papier bleiben, da die Wirklichkeit sie unvermittelt einholt, weiß auch der Staatssekretär in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Hans Stimmann. Pläne, so veranschaulicht Stimmann in der Dokumentation „Planwerk Innenstadt“, wie die von Ludwig Hilberseimer, der 1928 die Berliner Mitte abreißen und sie in eine Hochhausstadt verwandeln wollte, scheiterten ebenso am Größenwahn der Idee wie jene, die westliche City 1958 zur verkehrsgerechten Stadtlandschaft oder Ost-Berlin zur sozialistischen Aufmarschkulisse umzubauen.

Diese Methode der „Auseinanderdividierung von Stadt, Verkehrsschneisen, solitären Großbauten, Funktionsentmischung und Beseitigung des Eigentums“, sagt Stimmann, seien auf den „Bruch“ mit den Traditionen der sogenannten europäischen Stadt angelegt, nicht auf ihren spezifischen Charakter von Dichte und Mischung – und damit zum Untergang verurteilt.

Ein Jahr nach der Veröffentlichung des Masterplans droht dem Planwerk von Hans Stimmann, Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD) sowie den Autoren Dieter Hoffmann-Axthelm, Bernd Albers und Fritz Neumeyer ein ähnlich „visionäres“ Schicksal. Der großangelegte Entwurf „für eine gesamtstädtische Modernisierung Berlins“, wie Strieder den Generalplan zur Rekonstruktion der Hauptstadt ankündigte, zerbröselt, wird überarbeitet, konterkariert und attackiert, zeigt sich unrealistisch, provoziert Kritik und Gegenentwürfe, ist überholt und nur noch teilweise Modell einer zukunftsweisenden Stadtentwicklung.

Der Grund für den Niedergang der Masterplanung liegt nicht allein in der mangelhaften politischen Akzeptanz (die ihm im Frühjahr 1998 wohl zu keiner Mehrheit im Abgeordnetenhaus verhelfen wird), seiner fehlenden rechtlichen Grundlage und der bis dato nicht geklärten Frage, wer das alles finanzieren soll. Das Hauptargument des schrittweisen Scheiterns liefert der Masterplan selbst: Statt einer flexiblen, differenzierten, dezentralen und sozial abgestimmten Planung bildet die „Planung zur Hauptstadtwerdung“, wie die Zeit feststellte, einen Entwurf zur Einheit „im gesamtstädtischen Maßstab“ – ein Konzept wie aus Zeiten der Feudalfürsten. Der frühere Stadtentwicklungssenator und jetzige Partner-für-Berlin-Geschäftsführer, Volker Hassemer, sowie der Soziologe Hartmut Häußermann halten das Planwerk denn auch für eine „antiquierte Form der Planungsarbeit“, dessen Totaliätsanspruch keine Perspektive in sich trage.

Immerhin, die Idee war nicht schlecht: Das Planwerk zielte auf die Rückgewinnung der Stadt für ihre Bürger und die Strategie, die Abwanderung von Menschen ins nahe brandenburgische Umland aufzuhalten. Auf riesigen Brachen, überbreiten Straßen, großen Lücken im Stadtgrundriß und zwischen den Plattenbauten der östlichen City sollten Stück für Stück kleinteilige, vier- bis fünfstöckige Bauten (4,7 Millionen Quadratmeter Bruttogeschoßfläche) mit einem Wohnanteil von 60 Prozent entstehen, Straßen rückgebaut und „undifferenzierte Grünanlagen“ neu gestaltet werden. So war vorgesehen, in der westlichen und östlichen City, auf der Fischerinsel, entlang der Karl-Marx-Allee, nördlich der Jannowitzbrücke, am Spittelmarkt und am Kulturforum, entlang der Urania bis hin zum Charlottenburger Spreebogen ein Netz aus Neubauten für Wohnungen und Büros entstehen zu lassen, um die „auseinanderdividierte Stadt“ wieder zusammenzurücken, um die „drohenden irreparablen Schäden des Stadtkörpers“ abzufangen, wie Planwerk- Autor Dieter Hoffmann-Axthelm konstatiert.

Doch gerade weil man „einheitlich“ zusammenbacken will, was schwer zusammenpaßt, entwickelt sich der Masterplan zu keinem passablem Leitbild für die Stadt. Im Gegenteil. Das Beharren auf den gesamtstädtischen Planungsparametern droht die „Stadtkrise noch zu verschärfen, da sie planerische Innovationen verhindert“, konstatiert der Soziologe Werner Sewing. Sowohl das „urbane Aufforstungsprogramm auf einer Fläche von 450 Hektar“, so Sewing, als auch die alleinige Methode der kritischen Rekonstruktion des historischen Stadtgrundrisses blockiere den Stadtumbau auf der Grundlage örtlicher Besonderheiten und Identitäten.

Zudem hält der Generalplan die Stadtflucht nicht weiter auf und propagiert zusätzlich das Bild vom „neuen Urbaniten“ – einer begüterten hedonistischen Mittelklasse, die wenig mit der Mieterstadt Berlin im Sinn hat.

Zwar läßt Hans Stimmann bis dato das Planwerk in Architekturwerkstätten überarbeiten und korrigieren. Aber auch die Einzelpläne für sogenannte „Vertiefungsbereiche“ kollidieren wegen ihres weiterhin normativen Charakters mit den Plänen der Bezirke, der Bauverwaltung und Interessen von Investoren – und insbesondere mit den Spezifikum der Berliner Stadtlandschaft, die polyzentral und „viele Orte“ ist und deren Nachkriegsmoderne mit historisierenden Mitteln schwer repariert werden kann.

So hat sich etwa das Planwerk auf der Fischerinsel als unbrauchbar erwiesen, da die historische Stadtstruktur inzwischen von Hochhäusern überlagert wurde und eine kleinteilige Bebauung am Ufer den Ort nur mehr zum Gegensatz werden ließe. Außerdem liegt dem Bezirk ein weiterer Hochhausentwurf für den Ort vor, der Stimmanns Masterplan dort auf den Kopf stellt.

Nicht anders ergeht es anderen Teilen des Planwerks: Am Spittelmarkt, dort, wo die Leipziger Straße in die Gertraudenstraße mündet, wollen sich Stimmann und Bernd Albers mit ihrer Straßenführung und einer Blockrandbebauung wieder dem alten Stadtgrundriß annähern. Ins Gehege kommen sie damit nicht allein mit der Bauverwaltung, die auf der vielgenutzten Verkehrsschneise besteht, sondern auch mit parkraumverliebten Anwohnern und einer Gegenplanung der Architekten Flierl, Kny und Krause. Die hatten jüngst eine vielbeachtete „Gegenplanung“ für den Spittelmarkt vorgelegt, der den spezifischen Ort keiner radikalen Neuordnung unterzieht, sondern den DDR-Städtebau mit modernen Mitteln zu reparieren versucht.

Auch im Westteil der Stadt prallt der Masterplan an bezirklichen Interessen und örtlichen Typologien ab. Während die Masterplaner ihre Vorstellungen etwa am Gleisdreieck – wo eine Straße durch den zukünftigen Park geplant war – oder am Kulturforum korrigieren mußten, greift die Idee des Gesamtkonzepts in der City West gar nicht.

Allein rund um den Bahnhof Zoo und den Hardenbergplatz, deren unbebaute Flächen mit Blöcken, Zeilen und Brückenwerken zu einem verdichteten Stadtquartier geformt werden sollen, sehen sich die Masterplaner mit Plänen der Bauverwaltung samt bauwilligen Investoren und des Bezirks konfrontiert, die aus der City-West eine Down-Town machen. Als Konkurrenz zur Friedrichstraße und zum Alexanderplatz liegen für den Standort Hochhäuser in den Schubladen. Deren Realisierung zielt auf Eigenmächtigkeit der City-West und nicht auf Anpassung an einen west-östlichen Gesamtplan. Die umfassende zentralistische Perspektive, die Vision und der Totalitätsanspruch des Masterplans erweisen sich gerade hier – als Ost-West-Konflikt – als handlungsunfähig.