„Ich habe sie satt, diese Stadt“

■ Was den Lesern das Jahr über vorenthalten wurde: Nachrichten, die eher Stoff für Psychologen sind und in dem Hefter „Verrückte“ gesammelt werden. Ein Rückblick von Barbara Bollwahn

Jedes Jahr füllen sie einen dicken Ordner: die Schreiben von Menschen, die vielleicht bei einem Psychologen besser aufgehoben wären als bei einer Zeitungsredaktion. Oftmals sind die Zeilen so konfus, daß sie im Ordner „Verrückte“ landen. Manchmal sind es auch Schimpftiraden auf die Regierung und die ganze gottlose Welt. Nicht selten tragen sie den Vermerk der Redaktionsassistentin „Klingt interessant. Wäre das nicht was für dich?“

Im Oktober erreichte ein Fax die Redaktion, das mit „Lieber Fritz“ noch ganz harmlos begann. Doch dann ging es zur Sache: „Falls du nochmals auf die Idee kommen solltest, mir die Leute vom Sonntag ein zweites Mal zu schicken oder wenn hier ähnliche Gestalten auftauchen, werde ich die erschießen! Das verspreche ich dir“, hieß es da. „Mit deiner Aktion hast du nämlich erreicht, daß ich jetzt einen Waffenschein besitze und meine lächerliche Gaspistole weggeschmissen habe.“ Das klang nach der „Chronik eines angekündigten Todes“ wie in dem gleichnamigen Buch des kolumbianischen Nobelpreisträgers Gabriel Garcia Márquez. Ein Mord wird angekündigt, und ein ganzes Dorf wartet seelenruhig dessen Durchführung ab.

Ein Anruf beim Verfasser des Faxes brachte Aufklärung: Ein Betriebswirt aus Kreuzberg erzählte, daß der Adressat des Faxes sein Schwiegervater sei, der an der holländischen Grenze lebe und ihm einen Schlägertrupp geschickt habe. „Es war morgens um zwei. Ich kam von der Pizzeria, die haben mir gleich in die Fresse gehauen.“ Unbekannte hätten ihm die oberen Schneidezähne herausgeschlagen und drei Rippen gebrochen. Weil er mit seiner Frau Auseinandersetzungen über die medizinische Behandlung des gemeinsamen achtjährigen Sohnes gehabt habe – er leide am Hypercinetischen Syndrom –, reichte er die Scheidung ein. Deshalb habe ihm der Schwiegervater die Schläger geschickt. Was die taz mit dem Fax solle? Darauf wußte der Betriebswirt im ersten Moment keine Antwort. Er habe das Fax auch an den Polizeipräsidenten geschickt. „Ich wollte nur, daß Sie Bescheid wissen“, sagte er freundlich und bedankte sich für das Gespräch.

Dann gibt es Leute, die Artikel aus der Springer-Presse kommentieren und an die gegenüberliegende taz-Redaktion in der Kochstraße schicken. So schrieb ein namenloser Mensch in altdeutscher Schrift, orthographisch nicht ganz sattelfest: „Schönborn spint heute schon wieder. BZ von heute. Wenn er Berlin Betler frei haben will, das schaft der nicht mit seiner Schlagertruppe.“

Andere wiederum machen sich die Mühe, Artikel auszuschneiden und mit persönlichen Anmerkungen zu versehen. So machte es beispielsweise die „Freie Berliner Informationsgemeinschaft, Sitz Berlin – Paris“, die mit einer erleuchtenden Ankündigung aufwartete: „Die Zeit der Unweisheit und Unkenntnis über die Verkörperung und das Wirken Satans auf Erden ist vorbei!“ Dann folgt ein Generalangriff gegen alle Parteien. Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing (SPD) und SPD-Fraktionschef Klaus Böger werden als „üble Visagen“ bezeichnet wegen der Zustimmung der Sozialdemokraten zum Bewag-Verkauf. „Die SPD als Steigbügelhalter des Neofaschismus und der Kapitalmafia!“ heißt es da. Auch die Christdemokraten bekommen ihr Fett ab. Fraktionschef Klaus-Rüdiger Landowsky wird enttarnt als „die Fratze Satans“. „Die von dieser verantwortlichen Satansbrut Landowsky & Co. kaputtgemachten, in Not und Elend gestürzten Menschen werden von Bankvertreter Landowsky in Nazimanier als Gesindel und Ratten verunglimpft!“ heißt es in Anspielung auf Landowskys „Rattenrede“.

In einigen Fällen wird die Redaktion auch ganz gezielt als Therapieeinrichtung angesprochen. „An die taz-Psychos“, heißt es in einem handgeschriebenen Brief von einem Jörg B. „Ich schreibe, weil ich einiges richtigstellen will.“ Wo der Vorwurf, daß die taz einen Bewag-Mann „funktionalisieren“ will, herrührt, bleibt unklar.

Ganz klar dagegen war das Anliegen von Peter M., der im September aus einer Neuköllner Nervenklinik nach Süddeutschland geflüchtet war und der Redaktion telefonisch ankündigte: „Ich werde die Weltrevolution ausrufen.“ Der Plan wurde jedoch durch die neuerliche Einweisung in die Psychiatrie vorerst auf Eis gelegt. Schriftlich kündigte er für den 13. Juni nächsten Jahres das Erscheinen der „Volksillustrierten“ an. „Wir werden im Januar/Februar, nach der Entlassung aus dieser Irrenanstalt, mit einem Lied über das Fortgehen der Prinzessin Lady Di das nötige Kleingeld für unsere Zeitschrift verdienen“, schrieb Peter M. Als Vorgeschmack auf das Lied teilte er mit: „Wir werden auf Lady Di ,to die‘, ,to cry‘, ,why‘ und ,sky‘ reimen.“ Das Motto des deutschen Teils des Liedes soll heißen „Ich habe sie satt, diese Stadt“.