"Eine Lampe ist staubig!"

■ Im Hotel Radisson übernahmen gestern die Auszubildenden die Führungspositionen. Einen Tag lang spielten sie Hoteldirektor, Küchenchef und Marketingleiter. Die Gäste waren zufrieden

Hotel Radisson am Alexanderplatz, 10 Uhr. Das Führungspersonal hält im achten Stock sein übliches Meeting ab – doch diesmal ist alles anders. Verlegen sitzen die Abteilungsleiter um den langen Tisch herum, manche sprechen so leise, daß man sie kaum versteht. Das Durchschnittsalter der Führungscrew: Anfang 20.

Von der untersten Stufe rutschten gestern 15 Auszubildende steil nach oben in die Sessel der Hotel- Befehlshaber. Einen Tag lang waren sie als Hoteldirektor oder Marketingleiter Herrscher über 840 Betten. Im Chefsessel ist die 22jährige Medina Fischer gelandet, ohne genau zu wissen, warum gerade sie. Die blondhaarige Frau – nach eigenen Worten „sehr aufgeregt“ – hat um acht Uhr erstmal einen Rundgang durchs Haus gemacht, um zu gucken, ob „die Lobby sauber ist und die Kellner nicht rumstehen. Alles soweit in Ordnung“, teilt sie jetzt den Abteilungsleitern mit. Allerdings sei „eine Lampe nicht abgestaubt worden“. Und die Pflanzen in der Eingangshalle würden „scheußlich aussehen“. Die leitende Hausdame solle sich darum kümmern.

„Es wäre toll, einmal Chef zu sein“, phantasierte der 25jährige Timm Eckl – jetzt Marketingleiter – vor drei Monaten beim Mittagessen mit Kollegen. Aus der Phantasie wurde Realität, denn der Direktor war von der Idee begeistert. Der „Tag der Auszubildenden“ sei „ein Ansporn“ und fördere die Kommunikation, erklärt Public- Relation-Frau Susanne Scholten. Die Azubis sind begeistert: Medina Fischer findet es „aufregend“, anderen „macht es großen Spaß“.

„Der Chef ist in Urlaub, ich bin jetzt ihr Ansprechpartner“, gibt der redegewandte Eckl Anrufern Bescheid. Und verhandelt mit Interessenten, welche im Hotel Konferenzen oder Empfänge abhalten wollen. Ganz unbeleckt war der Eintagschef allerdings auch vorher nicht – arbeitet er doch auch sonst in der Abteilung Marketing. Auch die anderen hatten mehrmonatige Erfahrungen in ihren Bereichen. Und außerdem den Chef an der Seite. Im Notfall fragt Kerstin Kellermann, Chefin der Rezeption, ihren Vorgesetzten. Chefkoch Thomas Leonow handelt nur am langen Arm des eigentlichen Küchenchefs. Zum Beispiel wies ihn sein Chef morgens darauf hin, daß der Frühstücksschinken zu dick geschnitten war. Die meisten Abteilungsleiter halten sich aber zurück. Sie sind froh über die Pause: Die leitende Hausdame kommt endlich dazu, ihre Schränke zu entrümpeln.

In der Hotelhalle ist von dem Rollentausch nichts zu merken: Touristen an der Rezeption, die ihre Rechnung zahlen. Wartende Menschen auf Sesseln. Herumstehendes Gepäck. Freundliches Hotelpersonal. „Ein ganz normaler Ablauf“ nach Meinung des Bayern Simon Sonnenhauser. Auch Manfred Mülder, EDV-Dozent in München, kann „nichts Störendes“ feststellen. Im Gegenteil, er sei sehr zufrieden. Karen Wientgen