Gefahr fürs Seelenheil

■ In Assisi verbietet der Bürgermeister eine Ausstellung mit alten Briefen berühmter Linker

Rom (taz) – Ein Gespenst geht um in Umbrien – das Gespenst linker Briefeschreiber. Allesamt, weil schon lange tot, zwar nicht mehr im Verdacht, auf dieser Welt etwas auszurichten, doch speziell bei konservativen Bürgermeistern als hinreichend gefährlich fürs Seelenheil der Gläubigen eingeschätzt, um Schriften aus ihrer Hand einer massiven Zensur zu unterwerfen.

250 auf DIN-A1 vergrößerte Briefe hat der Historiker Claudio Carli, zunächst ganz offiziell genehmigt, unter dem Titel „Die Stadt der Briefe“ an den Wänden der Stätte ausgehängt, die durch den Heiligen Franz weltberühmt und zum Tourismusdauerbrenner wurde. Briefe von Frauen und Männern aus der Antike, aus allen Kontinenten, von Künstlern und Politikern, Wissenschaftlern und Dichtern, dazwischen Gemälde und Fotografien.

Daß einige der optischen Darstellungen Anstoß erregen könnten, war abzusehen – nackte Hinterteile und Busen zum Beispiel, die in den Ecken mancher Briefe eingedruckt waren. Doch was inzwischen geschieht, übertrifft moralinsauere Zensur bei weitem: Weg mit allem, was links aussieht, hat Bürgermeister Giorgio Bartolini verfügt: Ein harmloser Brief Che Guevaras mußte als erstes dran glauben, unters Verdikt fallen zumindest einzelne Passagen von Henry Miller, Pier Paolo Pasolini und Elsa Morante. Selbst KPI- Gründer Antonio Gramsci muß sich einer hochnotpeinliche Kontrolle Zeile für Zeile unterziehen. Offizieller Grund: „In der Stadt des Friedens“, so der Bürgermeister, „haben Aussagen von notorischen Predigern der Revolution und der bewaffneten Auseinandersetzung nichts zu suchen.“

Inoffiziell gilt allerdings als sicher, daß die plötzliche Abreiß-aktion eher etwas mit dem Besuch von Johannes Paul II. in Umbrien und den Marken zu tun hat: am 3. und 4.Januar will er die vom Erdbeben betroffenen Gebiete besuchen und möglicherweise auch eine kurze Visite im Dom von Assisi einlegen. Zwar sieht der Oberhirte der Katholiken schon lange kaum mehr, was vor seinen Augen abgeht, aber sein Gefolge könnte sich über die Schriften unverbesserlicher Ungläubiger ärgern.

Möglicherweise erweist sich die Aktion allerdings als Bumerang: Das eilig angerufene Verwaltungsgericht könnte die Zensur als illegal einstufen, und einige verärgerte Helfer von Ausstellungsgestalter Carli überlegen bereits, die zensierten Briefe als Transparente an den Zufahrtswegen des Papst- trupps aufzustellen.

Dann allerdings würden sie nicht, wie bisher, in mehreren hundert anderen Briefen verschwinden, sondern wirklich auffallen. Werner Raith