Analyse
: RAF, sweet RAF

■ Der Bundesrepublik wurde anno 1997 ein neuer Mythos geboren

Seine Schreibmaschine ist seit diesem Jahr im Bonner Haus der Geschichte ausgestellt. „Er hat einen sinnlichen Mund, dunkle Augen und seine schwarzen Haare sind wie die eines vornehmen Römers geschnitten“, beschreibt ihn Karin Wieland im Kursbuch „Männer“: „Ein deutscher Dandy.“ Am Berliner Ensemble wurden im September seine Worte, mit Schlagzeug-Swing gemixt, als „Slam-Poetry“ vorgetragen – Texte wie Strandgut, mal funkelnd, mal verdüstert, notierte eine Kritikerin. Eine erste Biographie ist erschienen. 20 Jahre nach seinem Tod im Hochsicherheitstrakt hat der Terrorist Andreas Baader im Jahr 1997 seinen Aufstieg zu einer deutschen Ikone begonnen.

Sein dämonisches Funkeln zwischen schwüler Verletzlichkeit und totalitärer Kälte eignet sich bestens für Stilisierungen durch Medien und Kulturbetrieb. Doch in der öffentlichen Darstellung hat sich nicht nur Andreas Baader vom Mordbuben zum bewunderten Outcast gewandelt, auch die RAF selbst erfuhr im vergangenen Jahr die Erhöhung zum bundesdeutschen Mythos. Paradoxerweise hat dazu keiner mehr beigetragen als Heinrich Breloer, dem in der Debatte um sein Dokudrama „Todesspiel“ eher zu große Staatsnähe vorgehalten wurde als zu ausgeprägte Sympathie für die RAF. Dabei hat sein Fernsehzweiteiler die Rote Armee Fraktion heim in den Schoß der Nation geholt: In den 70er Jahren belegte die brave Mehrheits-BRD die RAF mit einer moralischen Entrüstung, wie sie in den 90ern allenfalls Kinderschändern entgegengebracht wird. Wenn dagegen im sanften Kaminlicht vor Breloers Kamera Altkanzler Helmut Schmidt und Ex-Terrorist Peter-Jürgen Book erzählen, wie es damals wirklich war, erinnert die Szene eher an einen sentimentalen Western: Der silbrig-ergraute Sheriff im Schaukelstuhl und der von der Haft noch hagere Ganove blicken auf ihren Showdown zurück – Feinde, die sich lieben. So übertünchte Breloer, aber auch ein halbes Bücherregal von populären Chroniken zum Thema, das alte Bild der blutroten RAF mit dem Altrosa der Nostalgie: RAF, sweet RAF.

Galten sie dem Bundesbürger einst als psycho-politische Spinner, gehören die Terroristen der RAF Ende der 90er Jahre zum Mythenschatz der Republik – wie Kulenkampff und Berghoff gehören nun auch Baader und Meinhof zur nationalen Fernsehfamilie. Nicht zuletzt lassen sie die graue Reihenhausrepublik Deutschland rückblickend ein wenig aufregender erscheinen. Daß die Geschichtsschöpfung erst jetzt einsetzt, ist schließlich kein Zufall: Mythenbildung beginnt immer erst post mortem – und 1997 waren beide Hauptakteure des großen Showdowns von 77 von der politischen Landkarte verschwunden: die RAF ebenso wie die Bundesrepublik (West). Patrik Schwarz