Ein halbes Jahr nach der Rückgabe Hongkongs an China haben die wirtschaftlichen Probleme der früheren britischen Kolonie die Sorge um die politischen Freiheiten verdrängt. Die befürchtete Unterdrückung kritischer Gruppen blieb aus. Doch Hongkongs Demokraten werden von der Peking-nahen Regierung mehr und mehr an den Rand gedrängt Von Sven Hansen

An Pekings langer Leine

Das hatte sich Wong Chung-ki anders vorgestellt: Als er zu Weihnachten mit seiner Familie von Hongkong aus zum Verwandtenbesuch in die benachbarte chinesische Sonderwirtschaftszone Zhuhai reisen wollte, verweigerten Chinas Grenzbeamte ihm die Einreise. Seine Familie durfte passieren; Wong wurde trotz gültiger Papiere abgewiesen, Gründe nicht genannt. Wong ist zwar chinesischer Staatsbürger, aber er ist vor allem ein Politiker der Demokratischen Partei Hongkongs, die Umfragen zufolge nach wie vor die beliebteste Partei in der früheren Kolonie ist.

„Chinas Regierung ist eine Erklärung schuldig, warum jetzt, wo Hongkong zu China gehört, sie einem chinesischen Bürger die Einreise in sein Land verweigert“, klagt Wong. Zuletzt war er ein Jahr vor der Rückgabe Hongkongs auf dem Pekinger Flughafen festgesetzt und dann wieder zurückgeschickt worden. Damals gehörte er zu einer Gruppe, die der chinesischen Regierung Zehntausende Unterschriften gegen die Auflösung des gewählten Hongkonger Legislativrats überreichen wollte.

Schon damals war Wongs Protest vergebens. Hongkongs gewähltes Parlament wurde schon in den frühen Morgenstunden des 1. Juli 1997 aufgelöst, nachdem gerade die Fernsehbilder von der Rückgabe des Territoriums um die Welt gegangen waren. Zwar hat China Hongkong für die nächsten fünfzig Jahre nach der Formel „ein Land – zwei Systeme“ weitgehende Autonomie und Selbstverwaltung versprochen. Doch Peking war nie mit den demokratischen Reformen des letzten britischen Gouverneurs einverstanden, auf denen Hongkongs Legislativrat beruhte. Seit dem 1. Juli amtiert deshalb in der Sonderverwaltungsregion Hongkong mit dem Provisorischen Legislativrat ein handverlesenes Gremium Peking-naher Politiker. Vertreter der Demokratischen Partei und ihre Verbündeten sind darin nicht vertreten.

Sie zogen vor Gericht. Als dadurch Ende Juli eine Verfassungskrise drohte, befanden Hongkongs oberste Richter, nicht über Handlungen des neuen Souveräns in Peking urteilen zu können. Mit dieser umstrittenen Entscheidung beraubte sich Hongkongs Justiz wichtiger Mitsprachemöglichkeiten über die Auslegung des neuen Hongkonger Grundgesetzes.

Inzwischen hat sich der Provisorische Legislativrat als unkritisches Scheinparlament erwiesen. Umfragen zufolge gilt der Provisorische Legislativrat als wenig glaubwürdig. Doch zur Legitimation ihrer Politik hat auch die vom pro- chinesischen Großreeder Tung Che-hwa geführte Hongkonger Regierung ein Interesse an einem gewählten Parlament. Um Risiken für Tung und Peking auszuschließen, wurden allerdings die Regeln für die im Mai geplanten Wahlen zu ungunsten der demokratischen Parteien geändert. „Die Wahlen werden nicht fair sein. Nur zwanzig Sitze werden in allgemeiner Abstimmung vergeben, die restlichen vierzig werden nur von einer kleinen Gruppe bestimmt“, sagt die frühere Abgeordnete Emily Lau, die am 1. Juli ihr Mandat verlor und im Mai wieder kandidieren will.

Zwar war Hongkong selbst unter dem letzten britischen Gouverneur Chris Patten keine vollwertige Demokratie. Doch durch Pattens Reformen kamen die demokratischen Parteien bei 60 Prozent der Stimmen immerhin auf 45 Prozent der Sitze. Künftig können sie bestenfalls mit 20 Prozent der Mandate rechnen.

„Die Bevölkerung kann noch die meisten ihrer Freiheiten ausüben, aber unter einer nicht-repräsentativen Regierung“, bilanziert der Vorsitzende der Demokratischen Partei, Martin Lee. „Peking hat sich in das tägliche Regierungsgeschäft offensichtlich nicht eingemischt. Das war aber auch nicht nötig, weil Chinas Regierung durch die von ihr ernannten Politiker die absolute Kontrolle hatte.“

Die Angst der Bevölkerung vor Pekings Einmischungen ist der Sorge um den gewohnten Lebensstandard gewichen. Mit dem Börsencrash am 23. Oktober hat die fernöstliche Wirtschaftskrise Hongkong erreicht. Die Regierung hat Angriffe gegen den Hongkong-Dollar bisher abwehren können, indem sie unbeirrt an der Koppelung der Währung an den US-Dollar festhielt. Bei fortgesetzter Dollarbindung verteuern sich Hongkongs Waren und Dienstleistungen gegenüber denen der Nachbarländer. „Wenn wir die Dollarbindung aufheben, würde unsere Währung stark abgewertet, die Aktienkurse würden noch weiter fallen. Deshalb halten wir an der Bindung fest“, sagt Hongkongs oberster Währungshüter Joseph Yam.

Diesen Kurs mußte Hongkong bisher mit hohen Zinsen und fallenden Immobilienwerten bezahlen. Das Tourismusgeschäft, wo es Einbußen von bis zu 25 Prozent gibt, leidet ohnehin. Mit den ersten Firmenpleiten hat sich Katzenjammer und Nervosität breitgemacht. Mehrfach stürmten Kunden gar Geschäfte und Banken, die gerüchteweise vor dem Konkurs standen. Der Aktienmarkt hat seit dem Höchststand im August 40 Prozent seines Werts verloren.

Für die wirtschaftlich schlechte Stimmung macht jedoch niemand Hongkongs Regierung oder China verantwortlich. „Die wirtschaftlichen Risiken sind in Hongkong hauptsächlich wegen externer Faktoren stark gestiegen“, heißt es in einem Bericht der Investitionsberatungsgesellschaft „Political and Economic Risk Consultancy“. Die Regierung habe die Krise nicht verhindern können, sondern richtig und angemessen reagiert. Das meint auch der frühere Gouverneur Patten.

Patten hatte Hongkong vor seinem Abschied mit einem Rolls Royce verglichen, bei dem man sich nur hinters Steuer setzen müsse, aber keinesfalls etwas am Motor ändern sollte. Da angesichts der verschlechterten wirtschaftlichen Situation aber die Zufriedenheit der Bevölkerung zurückgeht, will der pro-chinesische Politiker Tsang Yok-Sing jetzt einen Blick unter die Motorhaube werfen. „Die Warnungen vor den Einmischungen von außen haben uns zu lange davon abgehalten, uns mit den internen Defekten unseres Rolls Royce zu beschäftigen“, so Tsang.

Für den Leiter des „Hongkong Transition Projects“ der Baptist University, Michael DeGolyer, zeigt die fernöstliche Wirtschaftskrise dagegen, daß sich Transparenz, Rechenschaftspflicht, Offenheit und demokratische Kontrolle als richtig erwiesen haben. Hongkong, wo dies zum Großteil verwirklicht war, sei im Vergleich zu anderen Ländern noch am geringsten von der Krise betroffen. „Seit Ausbruch der Wirtschaftskrise wird hier nicht mehr viel von asiatischen Werten gesprochen“, so DeGolyer. Regierungschef Tung hatte sich bisher in Anlehnung an sein autoritäres Vorbild Singapur immer wieder von vermeintlich westlichen Werten abgegrenzt. DeGolyer: „Ich bin heute optimistischer als vor sechs Monaten. In Asien hatten viele geglaubt, die Region könnte auch ohne Demokratie auskommen. Aber jetzt in der Krise wird deutlicher, daß das nicht geht.“

Hongkongs Führer der Demokratischen Partei wären zunächst froh, wenn sie als Bürger Chinas wenigstens frei reisen könnten.