„Die Indianer sind falsch!“

Seit Jahrzehnten besitzen Deutsche Land in Guatemala. Sie schätzen Indios als Arbeiter und sind ansonsten „rechtsnational“. Der Dok-Film „Die Zivilisationsbringer“ porträtiert die deutsche Kolonie  ■ Von Helmut Höge

In Guatemala gibt es eine „Verifizierungskommission“ der Regierung zur Aufklärung der Bürgerkriegsmassaker in den siebziger und achtziger Jahren. Das Geld dafür kommt unter anderem vom Deutschen Entwicklungsdienst, Kommissionsvorsitzender ist Professor Fomuschat, Völkerrechtler an der Berliner Humboldt-Universität. Auf sein Drängen hin wurden jetzt die Massengräber in Panzos, Nordguatemala, geöffnet. Dort waren 1979 etwa 150 Indianer bei einer Demonstration für ihre Landrechte von der Armee erschossen worden.

In vielen sozialistischen und postkolonialistischen Ländern gibt es derzeit Restitutionsbestrebungen, das heißt verwaltungsrechtliche Versuche, ehemals Enteigneten ihre Immobilien zurückzugeben: in Tschechien, Südafrika, Neuseeland und Deutschland. In Zimbabwe, vormals Rhodesien, hat man gerade damit angefangen, die großen Farmen der Weißen zu enteignen, um das Land an die Armen zu verteilen. 350.000 Landarbeiter sind derzeit auf derartigen Farmen beschäftigt. Die dem Schutz des Privateigentums verpflichtete internationale Presse geht davon aus, daß die Arbeitslosigkeit in Zimbabwe wegen dieser Landreform demnächst ansteigen wird und daß die Enteignungen insgesamt „verheerende Folgen“ für die Wirtschaft des Landes haben werden.

Ähnliches prophezeit man auch Guatemala, wenn die dortige Zivilregierung auf Druck der zunehmenden Zahl von Armen daran ginge, die Großgrundbesitzer, die zwei Prozent der Bevölkerung ausmachen und 60 Prozent des Bodens besitzen, zu enteignen. Die Besitzer der Fincas sind zumeist Deutsche, das Land gehörte seit Beginn des Jahrhunderts Firmen wie der Hanseatischen Plantagen- Gesellschaft. Die Deutschen bekamen es von der Regierung geschenkt, sie mußten nur für die Vermessung zahlen. Dann ließen sie große Flächen roden und bauten Kaffee an: Die Arbeitskräfte dafür mußten immer wieder von sogenannten Kommissionen in den Dörfern ausgehoben werden.

1933 wurde die Zwangsarbeit in Guatemala eingeführt – auf Grundlage eines „Gesetzes gegen Vagabundentum“, das man sich aus den Sklavengesetzen von Deutsch-Südwestafrika quasi übersetzte. 1934 motorisierte Mercedes-Benz die guatemaltekische Polizei. Als der nordamerikanische „Hinterhof“ Guatemala an der Seite der USA in den Krieg eintrat, wurden die Deutschen in Texas interniert und später gegen amerikanische Kriegsgefangene aus deutschen Lagern ausgetauscht. 1944 wählte das Land von der Größe der DDR – nach einer „Volkserhebung“ und Freien Wahlen – den Landreform-Sozialisten und gebürtigen Schweizer Jacobo Arbenz zum Präsidenten. Er begann, die Ländereien an die Indianer zu verteilen, die heute zwei Drittel der Bevölkerung ausmachen. Rund 500.000 von ihnen verdingen sich als Saisonarbeiter auf den Fincas.

1954 wurde Arbenz mit Hilfe der CIA gestürzt – und mußte ins Ausland gehen. Im Zuge der Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt entwickelte sich eine linke Bewegung gegen die Militärdiktatur, deren Todesschwadrone allein zwischen 1978 und 1982 über 5.000 Oppositionelle ermordeten. „Die achtziger Jahre waren betrüblich, der Kommunismus hat auch hier um die Ländereien gekämpft“, erinnert sich ein deutscher Unternehmer, der in dem Film „Los Civilizadores“ interviewt wird.

Die beiden Filmemacher Thomas Walter und Uli Stelzner sind schon seit Jahren in Guatemala tätig. Zuerst drehten sie einen Film über Landlose, die vor der Repression nach Mexiko geflüchtet waren, dann einen über Landbesetzungen in Guatemala. Ihr neuer Film über die deutsche Kolonie scheint ebenfalls von Sympathie für seine Protagonisten getragen zu sein. Zumeist sind es alte Finca- Besitzer und deren kaufmännisch tätige Nachkommen sowie westdeutsche Konzernrepräsentanten, die man allesamt getrost als „rechtsnational“ bezeichnen darf: „Das wird man hier draußen!“

1986 stattete Mercedes-Benz die guatemaltekische Polizei erneut mit modernster Technik aus, nachdem diese – mit westdeutscher Entwicklungshilfe – neu organisiert worden war. Heute besteht diese Hilfe vornehmlich in der Exportberatung. Zwar entfallen immer noch 23 Prozent des Exportvolumens auf den Kaffee, aber mehr und mehr asiatische und europäische Textilunternehmen errichten sogenannte Maquilas – Betriebe zur Textilendfertigung – in Guatemala: Sie beschäftigen inzwischen über 70.000 Menschen. Die koreanischen Unternehmer gelten als besonders rücksichtslos: An vielen Wänden steht „Koreaner raus!“ Diese loben hingegen insbesondere die Fingerfertigkeit und Mentalität der indianischen Arbeiterinnen. Auch ein alter Finca-Besitzer meint: „Ich habe immer gerne mit den Indianern gearbeitet.“ Ein deutscher Textilunternehmer ist mit den koreanischen einer Meinung: „Die Menschenrechte und alle möglichen Vergünstigungen – das kann man nicht von heute auf morgen einführen!“

Guatemala hat die höchste Analphabetenquote in Lateinamerika. In einigen Fincas organisierten die Deutschen früher eine Art Schulunterricht für die Kinder ihrer Landarbeiter, von denen deswegen noch heute viele die deutsche Nationalhymne singen können. Nichtsdestotrotz gehörten die Finca-Besitzer, neben den Textilfabrikanten, zu den ersten, die von der Guerilla angegriffen wurden. Eine einst pädagogisch-engagierte Finca-Erbin erinnert sich: „Das sind die gleichen Menschen, die in der Schule auf meinem Schoß gesessen haben. Meine Schwägerin hat damals schon gesagt: ,Paß auf, die Indianer sind falsch.‘ Ich muß leider sagen: Sie hat recht gehabt!“ Eine Lehrerin an der deutschen Schule meint noch heute: „Dieses Land würde nur besser werden, wenn es eine Diktatur auf rechter Seite wäre.“ Aber, gibt ein deutscher Unternehmer zu bedenken: „Die Indianer haben (auch) ein ganz anderes Denken, da kommen wir nicht rein.“ Im Film wird dazu passenderweise ein indianischer Gebetsritus gezeigt.

„Es müssen schöne Zeiten gewesen sein, man hat damals deutsch gelebt“, seufzt ein eher junger Repräsentant von BMW. Dennoch seien auch heute noch die Deutschen „alles fröhliche, glückliche – und erfolgreiche Leute“. Der gesamte Kolonialismus war laut Eric Hobsbawm („Das Zeitalter der Extreme“) ohne Phantasie. Bei den Deutschen kommt dabei jedoch stets eine spezielle Note hinzu: das Schwanken zwischen verlogener Sentimentalität und grausamster Systemik – bis heute. Die im Film interviewten Unternehmer reden beständig um beide Pole herum. Die Frauen sind etwas offenherziger, deswegen findet eine Finca- Besitzerin auch nichts dabei zu berichten: „Die Arbeiter hatten die Angewohnheit, sich nachts in ihren Unterkünften zu unterhalten. Das hat mich gestört (...) und da wurde das abgestellt.“

Der Film, „Die Zivilisationsbringer“ wird demnächst auf einigen westdeutschen Diskussionsveranstaltungen und eventuell

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auch im Rahmen der Berliner Filmfestspiele im Februar zu sehen sein. Neben den Interviews wurde darin noch jede Menge guatemaltekisches Archivmaterial verarbeitet – mit etwas zu viel Militärmarschmusik für meinen Geschmack. Dafür beginnt und endet das Ganze an einem Pazifik- Traumstrand, der so aussieht, als sei Guatemala touristisch noch ziemlich unerschlossen. Die 260 Millionen Dollar, die der Tourismus im Jahr einbringt, nannte die FAZ dann auch neulich ein nur „unzureichend genutztes Wirtschaftspotential“, was sie mit der „schlechten Infrastruktur“ und der „wachsenden Kriminalität“ erklärte.

Weil also Guatemalas gesamter Export und damit die Gesamtwirtschaft noch immer primär von den Finca-Besitzern abhänge, würden „viele in- und ausländische Beobachter eine Landreform fordern“, Enteignungen wären jedoch „weder national noch international durchsetzbar“, und würden überdies nur den „jahrzehntelangen Bürgerkrieg zwischen der Guerilla und dem Militär neu entflammen“. Der Mercedes-Benz-Repräsentant vor Ort rät deswegen zu mehr „Zeit und Geduld. Wir sind (demokratiemäßig) auf einem guten Weg.“ Und der ist wahrscheinlich erst dann abgeschlossen, wenn alle Indianer entweder im Gefängnis gelandet sind oder eine Anstellung als private Wachposten gefunden haben.

Das wäre dann eine amerikanisch-nachgebesserte Deutsch- Demokratie – analog etwa dem Deal amerikanischer Konzerne mit guatemaltekischem Erdöl: Sämtliche Vorkommen werden von ihnen ausgebeutet und exportiert, um anschließend das Öl, als Kraftstoff, wieder zu reimportieren – diese schöne „Veredelung“, gleichzeitig eine „Verelendung“, schlägt sich mit drei Prozent in der Ausfuhr- und mit elf Prozent in der Einfuhrstatistik Guatemalas nieder.

„Die Zivilisationsbringer – Deutschtum in Guatemala“. Von Uli Stelzner und Thomas Walther. Deutsch/Spanisch (mit deutschen Untertiteln), Iska-Produktion Kassel, 130 Minuten