Unabhängigkeit aus Gewehrläufen

Mit der Radikalisierung des Kampfes der Kosovo-Albaner um einen eigenen Staat schwimmen dem selbsternannten Führer Ibrahim Rugova die Felle weg. Im März soll ein neues Untergrundparlament gewählt werden  ■ Von Karl Gersuny

Was zeichnet einen Staatspräsidenten aus, auch wenn er kein Stückchen Land sein eigen nennt? Er hält eine Neujahrsansprache, dachte sich Ibrahim Rugova, selbsternannter Präsident über zwei Millionen Kosovo-Albaner im Süden Serbiens. Über den von der albanischen Regierung, kosovo-albanischen Arbeitern und Emigranten in Westeuropa finanzierten Satellitenfernsehkanal TV Shquiptar wandte sich Rugova in den vergangenen Tagen gleich mehrmals an sein Volk. In seiner Ansprache schwor er seine Landsleute auf das „Schicksalsjahr 1998“ ein, das „Jahr der Freiheit und Unabhängigkeit von Kosovo“.

Wie dieser Schritt jedoch vollzogen werden soll, das ließ der Präsident der bislang nur vom Mutterland Albanien anerkannten „Republika Kosova“ wieder einmal offen. Seit dem Zerfall des Vielvölkerstaates Jugoslawien fordern auch die Kosovo-Albaner das Recht auf Selbstbestimmung. Kopf dieser Weg-von-Belgrad-Bewegung ist der Ex-Vorsitzende des albanisch-sprachigen kommunistischen Schriftstellerverbandes, Ibrahim Rugova. Der von Tito gehätschelte Jungendfunktionär studierte bereits in den 70er Jahren beim renommierten Sprachwissenschaftler Roland Barthes in Paris Literaturgeschichte, als viele Kosovo-Albaner noch gar keine Reisefreiheit kannten.

Rugova selbst wurde nie Opfer serbischer Repression wie Tausende seiner politischen Mitstreiter, die unter oft fadenscheinigen Argumenten wie „staatsfeindlicher Propaganda“ zu langjährigen Haftstrafen verurteilt wurden – etwa der Schriftsteller Adem Demaci. Und es sind seit kurzem gerade Aktivisten wie Demaci, die Rugova „Verrat“ und „persönliche Bereicherung“ vorwerfen.

Der „albanische Mandela“, wie Demaci von seinen Anhängern genannt wird, saß 28 Jahre in serbischen Gefängnissen, weil er sich lange vor Rugova für eine Vereinigung des Kosovo mit dem Mutterland Albanien ausgesprochen hatte. Nun will er Rugova aus dessen Amt verdrängen und selbst Präsident der „Republika Kosova“ werden. Demacis Anhängerschaft nimmt zu, Rugova verliert Ansehen, seitdem deutlich wird, daß die westliche Staatengemeinschaft den bislang pazifistischen Widerstand der Kosovo-Albaner nicht honoriert. Mit dem Hinweis, die internationale Staatengemeinschaft werde sich der Kosovo-Frage annehmen, hielt Rugova seine Landsleute jahrelang ruhig, vertröstete sie auf immer neue Balkankonferenzen. Die fanden zwar statt, aber die Belange der Albaner blieben stets unberücksichtigt.

Rugova hielt sich auch an die Abmachung, keine eigenmächtigen Schritte in Richtung Unabhängigkeit des zu über 90 Prozent von Albanern bewohnten Kosovos zu unternehmen und die Ausrufung einer „Republika Kosova“ ruhen zu lassen. Angesetzte Termine zu Wahlen für ein Untergrund- Parlament ließ Rugova seit 1992 mit dem Hinweis verstreichen, vor allem die Amerikaner wollten auf Belgrad Druck ausüben, damit die 1989 abgeschaffte Autonomie für das Kosovo wieder in Kraft trete.

Die Albaner vertrauten Rugova, wurde er doch von Clinton im Weißen Haus empfangen, bekundeten auch europäische Außenminister dem Schriftsteller ihre Solidarität. Damit scheint es nun vorbei zu sein. Seitdem eine dubiose Befreiungsarmee Kosovo blutige Anschläge auf serbische Polizeistationen und Kasernen verübt und vermeintliche „albanische Kollaborateure des Belgrader Regimes“ umgelegt werden, finden Rugovas Worte „für eine Politik im Sinne Ghandis“ kein Gehör mehr. Als letzten Ausweg, beugte sich der Albanerführer nun der Forderung seiner Gegner nach Wahlen zu einem Untergrundparlament am 22. März. Einige von Demacis Anhänger propagieren bereits eine neue Devise: „Die Unabhängigkeit Kosovos kommt – aber nur aus den Gewehrläufen.“