Von Krise zu Krise

Israels Regierungschef steckt in der Klemme. Selbst wenn der Etat durchgeht, sind neue Konflikte programmiert  ■ Von Georg Baltissen

Berlin (taz) – Offiziell ist die Regierungskrise in Israel noch nicht beigelegt. Doch signalisierte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu gestern Bereitschaft, den Forderungen von Außenminister David Levy „grundsätzlich“ nachzukommen. Dieser hatte am Neujahrstag mit seinem Rücktritt gedroht, sollte Netanjahu die von Finanzminister Yaakov Neeman vorgeschlagenen Kürzungen in der Sozialpolitik wahrmachen. Neeman seinerseits drohte daraufhin mit Rücktritt, sollte Levy sich mit seinen Forderungen durchsetzen.

Ein Auszug der fünfköpfigen Gescher-Partei aus der Regierung würde Netanjahus Mehrheit in der Knesset auf einen Sitz schrumpfen lassen. Und den Israelis im 50. Jahr der Staatsgründung die unmißverständliche Botschaft verkünden, daß der Anfang vom Ende der Ära Netanjahu eingeläutet ist. Netanjahus Kompromißbereitschaft ist deshalb groß. Und eine Verabschiedung des Haushalts am Montag nicht unwahrscheinlich.

Wiederholt hatte Außenminister Levy in der Vergangenheit mit Rücktritt gedroht. Obwohl Netanjahu ihm stets die kalte Schulter zeigte, machte Levy bislang keine seiner Drohungen wahr. In der israelischen Presse wurde er deshalb als der „große Zauderer“ und „Meister der Ankündigung“ verspottet. Doch an Netanjahus finsterer Miene war dieses Mal deutlich abzulesen, daß der „große Zauderer“ es nicht bei bloßen Sprüchen würde bewenden lassen. Und Levy selbst zeigte wütende Entschlossenheit, die Interessen seiner Klientel zu verteidigen.

Er beschuldigte den Ministerpräsidenten des Wortbruchs und klagte rüde dessen Versprechungen ein, die Lage der Armen und Arbeitslosen zu verbessern. Arbeitslosigkeit und Armut sind vor allem unter den sephardischen Juden überproportional hoch. Levys persönliche Glaubwürdigkeit und seine politische Karriere stehen auf dem Spiel. Levy, von Beruf Maurer und ursprünglich Mitglied der Gewerkschaft Histadrut und der Arbeitspartei, schloß sich Mitte der 70er Jahre wegen „Diskriminierung der Sepharden“ der Herut-Partei von Menachem Begin an. Nach deren Wahlsieg im Jahre 1977 wurde er Einwanderungsminister, später Bauminister.

1985 stimmte er als einziger Likud-Minister für einen Rückzug aus dem Libanon. Der vor 60 Jahren in Marokko geborene Levy schaffte es bis ins Außenministerium, wo er sich besonders für Israels Teilnahme an den Madrider Friedensverhandlungen im Jahre 1991 einsetzte. Einen Namen machte sich der Vater von zwölf Kindern durch sein flottes Mundwerk und seine unverblümte Sprache. Im Kampf um die Führung des Likud unterlag er 1993 seinem Erzrivalen Netanjahu. Daraufhin gründete seine eigene Gescher- Partei, die 1996 ein Wahlbündnis mit dem Likud einging.

Seine Ambitionen auf das Amt des Ministerpräsidenten hat er nie aufgegeben. Als Außenminister kritisierte Levy vor allem die Siedlungspolitik Netanjahus und dessen störrische Haltung in den Friedensverhandlungen mit den Palästinensern. Obwohl die Verhandlungen in die Zuständigkeit Levys fallen, hatte Netanjahu ihn wiederholt übergangen und bloßgestellt.

Selbst wenn es Netanjahu gelingen sollte, den Haushalt in der nächsten Woche durch die Knesset zu bringen, erwarten ihn neue und nicht weniger bedrohliche Konflikte. In der kommenden Woche will US-Sonderbotschafter Dennis Ross anreisen, um mit Israelis und Palästinensern über den zweiten Teilrückzug aus den besetzten Gebieten zu verhandeln. Es ist kein Zufall, daß die israelische Regierung gestern um eine Verschiebung der Reise nachsuchte.

Bislang hat Netanjahu lediglich einen Rückzug von sechs bis acht Prozent angeboten. Die Groß-Israel-Fraktionäre in der Knesset haben dagegen mit einem Sturz der Regierung gedroht, sollte Netanjahu auch nur einen Fußbreit Land aufgeben. Und sie wissen fast 20 Abgeordnete in ihren Reihen. Sollte Netanjahu jedoch keinen „nennenswerten“ Rückzug anbieten, werden sich die Beziehungen zu den USA weiter verschlechtern. Und Ende des Monats erwartet Netanjahu die große Herausforderung. Dann wird Finanzminister Neeman seinen Kompromiß für das „Konvertierungsgesetz“ vorlegen. Netanjahu hat sich bereits dafür ausgesprochen, daß das orthodoxe Rabbinat die alleinige Entscheidung darüber behalten soll, wer in Israel als Jude anerkannt wird. Dies dürfte zu ernsten Verstimmungen zwischen der jüdischen Diaspora und Israel führen. Vor allem die große Mehrheit von Reform- und konservativen Juden in den USA hat gedroht, in diesem Falle ihre Unterstützung für Israel zu überdenken.

Noch ist gänzlich unklar, wie Netanjahu diese Klippen umschiffen wird. Bislang konnte der Ministerpräsident stets auf das rechte Lager zählen, das Netanjahu im Vergleich zu einer Regierung der Arbeitspartei als das „kleinere Übel“ vorzog. Doch damit könnte es bald vorbei sein. Die Risse in Netanjahus Koalition scheinen inzwischen so tief, daß ihr Überleben ernsthaft in Frage gestellt ist. Kommentar Seite 12