Wieder zurück an die Weichsel

Rund 20 Millionen Menschen können nach Polen zurückkehren oder zumindest die polnische Staatsbürgerschaft wiedererlangen. Starthilfen gibt es nicht  ■ Aus Warschau Gabriele Lesser

Über die ganze Welt verstreut leben schätzungsweise zwanzig Millionen Polen oder Menschen polnischer Abstammung. Mit Beginn des neuen Jahres haben sie nun alle das Recht, nach Polen zurückzukehren und wieder Staatsbürger Polens zu werden. Dies gilt auch für Deutsche, Ukrainer, Weißrussen, Litauer und andere Minderheiten, die vor dem Zweiten Weltkrieg in Polen lebten, immerhin dreißig Prozent der damaligen Bevölkerung.

Auf dieses Rückkehr- oder Repatriierungsgesetz haben Millionen von Menschen seit Jahren gewartet: Die einen sind tatsächlich an einer Rückkehr nach Polen interessiert, so etwa mindestens 50.000 der rund zwei Millionen Kasachstan-Polen. Die anderen wollen sich nur um die polnische Staatsbürgerschaft bemühen. Sie hoffen dadurch auf die Rückgabe ihres Eigentums oder zumindest auf eine Entschädigung. Die seit Oktober amtierende Mitte-rechts- Regierung will nämlich das nach dem Krieg verstaatlichte Eigentum wieder zurückgeben.

In diesem, spätestens im nächsten Jahr soll das Reprivatisierungsgesetz verabschiedet werden. Wer dann die Staatsbürgerschaft Polens besitzt, kann einen Antrag auf Rückgabe seines Eigentums oder auf Entschädigung stellen. Das Gesetz, das viele Menschen mit Hoffnung auf eine bessere Zukunft erfüllt, hat aber auch seine Tücken. Zum einen weiß niemand, wie viele der rund zwanzig Millionen Auslandspolen tatsächlich zurückkehren möchten, zum anderen gibt es keinerlei Verpflichtung des Staates oder der Gemeinden, den neuen Einwohnern Polens ihr Einleben zu erleichtern.

Die Hände werden zwar freundlich ausgestreckt, doch sie sind leer. Weder wird eine Wohnung garantiert noch ein Arbeitsplatz. Nicht einmal ein Sprachkurs wird angeboten, ganz zu schweigen von einer beruflichen Fortbildung. In den Ministerien befürchten nun Experten, daß auf Polen eine Einwandererwelle zurollt, die das bisherige Arbeitslosenheer verdoppeln oder gar verdreifachen könnte. Denn selbst wenn nur einige Prozent der Berechtigten von ihrem Recht auf Rückkehr Gebrauch machen sollten, so wären dies immerhin einige hunderttausend neue Staatsbürger Polens.

Zurückkehren in das „Land der Väter“ wollen vor allem Polen aus der ehemaligen Sowjetunion. Dies sind zum einen Rentner, aber auch Angehörige der zweiten und dritten Generation. Diese Menschen sprechen kaum noch Polnisch und wissen oft nichts von der polnischen Kultur. Von den Kasachstan-Polen hat kaum einer eine höhere Schulbildung. Vielen fehlt sogar eine Berufsausbildung. Auf sie, so befürchten die Experten, wartet in Polen ein Kulturschock.

Das von der Regierung vorbereitete Gesetzesprojekt hatte die Rückkehr der Auslandspolen von den finanziellen Möglichkeiten des polnischen Staates abhängig gemacht. Alle diese Einschränkungen hat der Sejm, das polnische Abgeordnetenhaus, aus dem Gesetz gestrichen. Die Auflagen, so befanden die Abgeordneten, waren zu streng. Bislang benötigten Rückkehrer die Einladung einer polnischen Gemeinde mit der festen Zusage einer Wohnung, einer Arbeitsstelle und einer finanziellen Hilfe für die ersten Monate. Im Jahre 1997 gelang es nur rund 1.500 Kasachstan-Polen, in das Land an der Weichsel zurückzukehren.