Der Big Bang im Hörer

Die neue Telefonfreiheit wird auch das Hamburger Netz grundlegend verändern. Allerdings nicht sofort  ■ Von Florian Marten

chöne neue Telefonwelt: Das Telekom-Monopol ist geknackt, die Preise purzeln, und die Endverbraucher dürfen sich auf ein neues Dasein als Königin Telefonkundin freuen. So jedenfalls sehen es die Optimisten. Realisten warnen statt dessen vor chaotischen Zuständen, wie sie in den ersten Monaten der Telefonfreiheit in Großbritannien zu erleben waren. Was auch immer: Der Telekommunikationsmarkt ist in heftige Bewegung geraten. Und dabei gehört die Zukunft nicht zwangsläufig nur den Global Playern. Auch lokale und regionale Telefongesellschaften wollen kräftig mitmischen. Nicht zuletzt in Hamburg.

„Das Wild wird noch nicht in den ersten sechs Wochen erlegt.“Thomas Fehr, Marketingchef der jungen Hamburger Telefongesellschaft HanseNet, hat die Ruhe weg. Sollen sich doch erst die anderen streiten, Fehler machen, Geld und Kunden verlieren. Erst im Frühjahr will die HanseNet, Tochtergesellschaft der Hamburger Electricitätswerke (HEW), den Hamburger Massenmarkt aufmischen: „Ende des ersten Quartals werden wir Telefonieren auf Privatrechnung anbieten.“Da eine Einigung der Telekom mit den Privatanbietern über die Konditionen bei den Ortsgesprächen noch aussteht, wird auch HanseNet zunächst nur ein Komplettangebot „für alle Nummern, die mit einer Null beginnen“vorlegen – das eigentliche Ziel ist aber das Ortsnetz. HanseNet will auf Dauer einen nicht unerheblichen Teil der Telefonanschlüsse im Großraum Hamburg als Kunden gewinnen – einen Gutteil davon sogar direkt an einer HanseNet-Strippe.

Dabei hat der HEW-Ableger gar keine schlechten Karten: Mit der Kriegskasse der HEW im Hintergrund, die sich strategisch als künftiger regionaler Komplettanbieter von Strom, Gas, Wärme, Wasser, Müllentsorgung, Telekommunikation und Sicherheit positionieren möchten, ist HanseNet finanziell gut gerüstet. Mindestens ebenso wichtig ist der Zugriff auf mehr als 7000 Netzkilometer, über die HanseNet mit dem HEW-Netz, dem Kommunikationsnetz der Hamburger Hochbahn AG und dem für gerade mal 1,35 Millionen Mark Jahrespacht erworbenen städtischen Behördennetz verfügt. Telekom-Herausforderer Arcor protzt derzeit stolz mit seinen bundesweit 40.000 Netzkilometern – ein Klacks im Vergleich zur regionalen Netzstärke von HanseNet.

Tatsächlich könnten sogenannte „City-Carrier“im wilden Kampfgetümmel um die Marktanteile im Telekommunikationsgeschäft die lachenden Dritten sein. Während nämlich die großen Telekomherausforderer Arcor, Otelo und Viag voraussichtlich vor großen technischen und organisatorischen Problemen stehen und zudem gigantische Anlaufinvestitionen tätigen müssen, um ein deutschlandweit attraktives Angebot vorlegen zu können, verfügen City-Carrier über lokale Kenntnisse und die Möglichkeit, sehr viel gezielter zu investieren. Schon heute mischt die HanseNet sehr erfolgreich im regionalen Geschäfts-kundenmarktmit. „Ab 5000 Mark Monatsumsatz“, so erläutert Fehr, „rechnet sich für uns im Schnitt schon die direkte Verkabelung.“Das eigene Netz wird Schritt für Schritt ausgebaut. Als lokaler Konkurrent wird in Kürze der US-Gigant WorldCom auftreten, der vorerst allein auf den Geschäftskundenmarkt zielt. Stefan Hischer, Chef von WorldCom Deutschland: „Hamburg ist für uns aufgrund der zentralen Lage in Norddeutschland wichtig.“Nach Frankfurt soll jetzt auch Hamburg neuer deutscher Investitionsschwerpunkt von WorldCom werden. Erfolgsgeheimnis dieses Global Players, dessen Aktienkurse unverändert steil nach oben weisen, sind der Aufbau und die weltweite Vernetzung lokaler Glasfasernetze in wirtschaftlichen Ballungsräumen. Wer aber wird auf Dauer Sieger im Kampf um den Hamburger Telekommunikationsmarkt sein: Rosinenpicker wie WorldCom, bewegliche Service-Provider wie Talkline, die allerdings keine eigenen Netze besitzen, lokale Komplettanbieter wie HanseNet, die großen Telekom-Herausforderer Arcor & Co oder doch die gute alte Tante Telekom? Seriöse Prognosen fallen schwer. Denn, so ein Insider: „Die Branche steht vor einem Dilemma. Mit reinem Netzbetrieb wird sich kaum noch Geld verdienen lassen. Das müssen Zusatzdienstleistungen bringen. Doch für diese Dienstleistungen brauche ich wieder Netze.“Nicht zuletzt deshalb geben viele Experten der Telekom gute Chancen, sich erfolgreich zu behaupten, da sie über die „letzte Meile“, das Kabel zur Anschlußdose des Privatkunden, verfügt. Auch HanseNet und WorldCom setzen deshalb auf die Stärke des eigenen Netzes.

Werden die HEW also zum Telekommunikationsgi-ganten in Hamburg? Noch gibt sich HEW-Sprecher Ulrich Kresse bescheiden: „Wir streben nicht die komplette Bandbreite eines Big Players an – wir verstehen uns als City Carrier. Aber unser Vorstoß ist sehr ernst gemeint. Die Dienstleistungsstadt Hamburg ist auch eine Datenstadt. Und da wollen wir mit dabei sein. Schließlich sind wir überall präsent.“