„Das Jahr beginnt typisch kapitalistisch“

Der Ernst-Thälmann-Gedenkstätte im brandenburgischen Ziegenhals droht wegen Mietschulden das Aus. Am Samstag kämpften 200 Genossen lautstark „gegen den letzten Versuch, den Kommunismus zu tilgen“. Aber der DDR-Chefpropagandist Karl-Eduard von Schnitzler schwieg  ■ Von Jens Rübsam

Eineinhalb Stunden hat er regungslos dagesessen, die Hände fest auf den Gehstock gepreßt. Hin und wieder hat er den Kopf wirsch beiseite gedreht, die Fotografen sollten seiner nicht habhaft werden. Ab und an hat er gelächelt. Der Genosse von der KPD hatte die Parole ausgegeben: „Es muß gelingen, den imperialistischen Geschichtsfälschern eine dauerhafte Niederlage beizubringen.“ Der Genosse von der Kommunistischen Plattform hatte gesagt: „Wenn das Wort Treuhand ausgesprochen wird, wird es mir kalt auf dem Rücken und kalt im Herzen.“

Als die Protestversammlung „Für den Erhalt der Ernst-Thälmann-Gedenkstätte Ziegenhals“ beendet ist, zieht er seinen Mantel über, legt seinen roten Schal um, schreitet bedächtig nach vorn zum Präsidum, klopft seinen Genossen anerkennend auf die Schulter, schüttelt ein paar Hände und geht hinaus zum Thälmann-Denkmal. Hier liegen fünf Blumensträuße, Rosen, Tulpen, Nelken. Hier wird Karl-Eduard von Schnitzler jäh aus seinem Schweigen gerissen. „Was haben Sie heute für ein Verhältnis zu Thälmann?“ will ein Reporter wissen. Verbittert sagt der DDR-Propaganda-Papst in die Kamera: „In ihrem Alter habe ich bessere Frage gestellt.“ Dann wendet er sich ab und schimpft laut: „Jedem Journalisten müßte man eins in die Fresse hauen.“ Der Chef-Verkünder vom „Schwarzen Kanal“ hat nichts mehr zu sagen. Die Welt hier draußen ist eben schlecht.

Drinnen, im großen Saal des „Sporthauses Ziegenhals“ bei Königs Wusterhausen war sie soeben noch in Ordnung. „Hier hat sich nischt verändert“, sagt Petra Schoof, seit 1988 Pächterin der Gaststätte. Ein Raum mit dem Charme eines Kreiskulturhauses, Kaffee aus Mitropa-Kännchen und Tee aus Gläsern mit Plaste-Untersetzer. Genossen halten Klassenkampfreden, andere Genossen applaudieren. Unter ihnen die Tochter von Thälmann, die 78jährige Irma Gabel-Thälmann, die allerdings aus der PDS ausgetreten ist, weil diese „gegen Thälmann“ sei. Heinz Schmidt vom Freundeskreis „Ernst-Thälmann-Gedenkstätte“ sagt: „Diese Veranstaltung richtet sich an das Gewissen der Menschen in unserem Land.“ Werner Schleese, Vorsitzender des Zentralkomitees der KPD, betont: „Das Jahr 1998 beginnt typisch kapitalistisch und imperialistisch. Das ist der letzte Versuch, den Kommunismus zu tilgen.“

Und genau das wollen die 200 Genossen, die am Samstag in die Gedenkstätte gekommen sind, nicht schweigend hinnehmen. Schließlich fand hier, in einem Hinterzimmer des „Sporthauses Ziegenhals“, am 7. Februar 1933 die letzte illegale Tagung des Zentralkomitees der KPD statt. Hier hatte der KPD-Vorsitzende Ernst Thälmann eine „Analyse, die zur Aufrichtung der faschistischen Diktatur führte“ (Wilhelm Pieck), abgegeben und die sich daraus ergebenden Aufgaben der KPD erläutert: „Konzentration aller Kräfte auf die Entfaltung jeder Form des Massenwiderstandes. Stärkster Kurs auf die Zerschlagung aller parlamentarischen und demokratischen Illusionen, auf die Erziehung der Massen zum außerparlamentarischen Massenkampf. Das alles verwirklichen heißt: die faschistische Diktatur schlagen und zerschlagen.“ Sein Referat schloß Thälmann mit den Worten: „Erfüllt eure revolutionäre Pflicht für den Sieg der deutschen Arbeiterklasse.“ Acht Tage zuvor war Adolf Hitler vom Reichspräsidenten Hindenburg zum Reichskanzler berufen worden.

Zwanzig Jahre später, am 7. Feburar 1953, hatte Wilhelm Pieck die Gedenkstätte „Ernst Thälmann“ in Ziegenhals eingeweiht. Seitdem galt sie als Wallfahrtsort von Genossen und Schulklassen, diente sie als Aufnahmestätte für Junge Pioniere und FDJler, und auch nach der Wende wurde hier an jedem 16. April dem Geburtstag Ernst Thälmanns gedacht.

Drinnen im Saal haben sich die Genossen auf Protest eingeschworen. Sie protestieren vor allem gegen die Treuhand Liegenschaftsgesellschaft mbH Berlin (TLG), die das Gelände nach der Wende übernommen hat. Nun, da die Berliner Firma IBES-Immobilien GmbH, die das Objekt im Auftrag der TLG verwaltet, den Mietvertrag mit den Pächtern wegen Mietschulden in Höhe von 30.000 Mark gekündigt hat, befürchten die Genossen das Ende des Museums und der Gedenkstätte. Denn das Museum befindet sich in dem Gebäude, und die Gedenkstätte vor dem „Sporthaus“ ist für die Genossen nur attraktiv, wenn auch das „Sporthaus Ziegenhals“ bewirtschaftet wird.

Zwar hat TLG-Pressesprecherin Elke Schicktanz inzwischen öffentlich betont, daß keinerlei Gefahr für die Gedenkstätte bestehe, da diese unter Denkmalschutz steht. Dennoch wehnen die Genossen, daß das Vermächtnis Thälmann beschädigt werden soll. Schicktanz hat Gerüchte ausgeräumt, daß das „Sporthaus“ schon verkauft worden sei und außerdem erklärt: „Auch den zukünftigen Nutzer wird die TLG wieder vertraglich an die entsprechenden Auflagen binden.“ Solange kein neuer Mieter oder Käufer gefunden ist, will die TLG für eventuell nötige bauliche Erhaltungsmaßnahmen sorgen. Für die Betriebskosten allerdings müsse eine Regelung gefunden werden. Die TLG kann sich einen Nutzungsvertrag mit dem Freundeskreis vorstellen.

Die Aussagen der Pressesprecherin freilich reichen den Genossen nicht. Von „Antikommunismus pur“ ist die Rede und von einem „erneuten Zeichen, Denkmäler antifaschistischer Kämpfer“ zu beschädigen. Kein Wort über die nach der Wende aufgekommenen Diskussionen um die Person Ernst Thälmann, der sich und die KPD voll auf Stalins Linie und dessen Diktatur eingeschworen hatte. Mit der Stalinisierung habe sich die KPD weitgehend von der Tradition der deutschen Arbeiterbewegung verabschiedet, sagen Kritiker. Aber darüber soll geschwiegen werden.