■ Nördlinger Schlosser retten Glocken: Abmagern beim Glockenschweißen
Wer kann schon von sich behaupten, daß er konkurrenzlos gut ist? Der 35jährige Thomas Lachenmeyer und sein Vater haben europaweit keine Mitbewerber: Die beiden sind die einzigen Glockenschweißer Europas.
Wenn es die Lachenmeyers nicht gäbe, wäre es aus und vorbei mit der wohlklingenden Herrlichkeit vieler alter Kirchturmglocken. Als 1985 die Erfurter „Gloriosa“, die wohlklingendste und schönste Glocke der Welt, am Ende war, griffen sie ein. 11.400 Kilo schwer, 2,57 Meter hoch, mit einem Durchmesser von zweieinhalb Metern hing „Gloriosa“ in ihrem Glockenstuhl und wollte nicht mehr wohl tönen. Ein Riß hatte ihr den Klang geraubt. Aus dem kapitalistischen Westen sollte die Hilfe kommen: die Nördlinger Hans und Thomas Lachenmeyer. „Es war ein ausgesprochen schwieriges Unterfangen, weil wir die Glocke auf dem Turm oben schweißen mußten“, erinnert sich Juniorchef Thomas Lachenmeyer.
„Das Aufwärmen ist in Schichten gegangen“, fachsimpelt der Experte, der selbst erst einmal vierzehn Jahre lang seinem Vater assistieren mußte, bevor er sich an seine erste Glocke heranwagen durfte. In Erfurt waren 43 Stunden Heizzeit mit speziellen Holzkohlen erforderlich, eine genaue Überwachung der Temperatur, denn bei falscher Erhitzung ist es wie beim einseitigen Erwärmen eines Glases, da springt die Glocke. „Die reine Schweißzeit waren dann acht Stunden.“
Die Reparatur glückte, und den Nördlingern wurde vom verantwortlichen Glockensachverständigen Diplomingenieur Kurt Kramer nach der Schweißung attestiert, „die Gloriosa hat nicht nur ihre verlorengeglaubte Stimme wieder, sie klingt vielmehr schöner, als sie je ein heute Lebender gehört hat.“ Keine unberechtigte Lobhudelei sei dies, meint Thomas Lachenmeyer, sondern ein durchaus erklärbares Phänomen. „Durch die langsame Erwärmung richten sich die Moleküle neu aus, und die Glocke klingt wie neu gegossen.“
Die größte freischwingende Glocke der Welt, die St.-Peter- Glocke im Kölner Dom, wurde von den Lachenmeyers ebenso geschweißt wie Unikate aus Spanien, Rußland, Belgien und vielen anderen Ländern. Mal kommen sie mit dem Schiff über die Donau, mal gleich direkt mit einem großen Lkw. In der Firma der Lachenmeyers werden für manche Glocken eigene Schweißöfen gebaut. Wie genau die einmalige Reparaturarbeit vonstatten geht, wollen Hans und Thomas Lachenmeyer nicht verraten. Sie haben auf ihr Verfahren, das schon vom Großvater entwickelt wurde, ein Patent. Jedenfalls sei bislang niemand in der Lage, die konstante Aufwärmphase und die stundenlange Schweißarbeit in einer solchen Perfektion zu bieten. Ganz exakt müsse der Anteil von Zinn und Kupfer (normal ist ein 20:80-Anteil) ausgelotet werden. Wenn die Legierung nur um ein Prozent differiere, müsse schon anders geheizt und geschweißt werden. Ohne High-Tech, ohne moderne Meßverfahren geht auch das heute kaum mehr. Das Glockenschweißen ist ein Knochenjob: „Sie brauchen nichts, absolut nichts mehr, wenn sie so eine Glocke hinter sich haben“, schildert der Juniorchef die Schweißarbeit. „Drei bis vier Kilogramm nehme ich bei einer Glocke ab.“ Fix und alle sei er danach. „Sie haben ja ständig eine Temperatur von 70 bis 90 Grad im Gesicht.“
Zahlreiche Glocken stehen zur Zeit in der Halle in Nördlingen und warten darauf, daß sie an der Reihe sind. Die Abkühlphase dauert übrigens noch länger als das Aufwärmen. „Mit einem Eimer Wasser geht da gar nichts, das dauert Tage, bis sich eine Glocke abgekühlt hat.“ Aber kaputtgegangen sei ihnen noch nie eine, meint Thomas Lachenmeyer. Klaus Wittmann
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