Gute Bullen, böse Bullen

■ Fernsehkrimis erster Güte: Mit dem Pilotfilm "Die schwarze Witwe" startet heute Barry Levinsons Erfolgsserie "Homicide" (0.25 Uhr, Vox)

Kürzlich gaben die Detectives Pembleton und Bayliss schon mal ein Gastspiel im deutschen Fernsehen. In der Kriminalserie „Die Aufrechten“ (RTL) unterstützten sie die New Yorker Beamten bei der Aufklärung eines Giftanschlags auf die dortige U-Bahn und machten sich stante pede unbeliebt durch ihre arroganten Manieren und eigenwilligen Arbeitsmethoden, trugen aber wesentlich zur Lösung bei, denn der Täter stammte, wie von ihnen vermutet, aus Baltimore, wo Pembleton und Bayliss für gewöhnlich ihren Dienst verrichten. Künftig werden wir mehr über die beiden erfahren, desgleichen über ihre Kollegen, über Vorgesetzte, Freunde und Familien.

Die TV-Serie „Homicide“ basiert auf dem Buch „Homicide: A Year on the Killing Streets“ des Reporters David Simon, der die Mitarbeiter der Mordkommission von Baltimore ein Jahr lang begleitet hatte. Dem Buch entlehnt ist vor allem der nüchterne Realismus der Milieu- und Alltagsschilderungen. Die Kriminalbeamten bewegen sich auf hartem Pflaster. Es braucht eine harte Schale, gute Nerven und eine beträchtliche Portion Galgenhumor, um mit den täglichen Bluttaten fertigzuwerden. Krisen bleiben nicht aus, Zerrüttungen und Charakterschwächen erschweren die Zusammenarbeit, berufliche und private Partnerschaften scheitern. Die Polizisten werden nicht glorifiziert; was andere Serienschaffende tunlichst vermeiden, steht hier im Mittelpunkt: die oftmals zermürbende Routine ermittlerischer Tätigkeit. Verfolgungsjagden sind ebenso rar wie Schießereien; von Glamour keine Spur. Statt dessen: Befragungen, Beweissicherung, Bestandsaufnahmen.

Nur schwerlich läßt sich die Serie auf eine Formel reduzieren. Nicht immer dominiert die klassische Tätersuche, die Geschichten, meist mehrere pro Folge, verästeln sich bis weit ins Private der Protagonisten. Es gibt wiederkehrende Motive und episodenübergreifende Handlungsstränge. Eine Folge spielt beinahe ausschließlich im Verhörzimmer und den angrenzenden Räumlichkeiten. Pembleton und Bayliss stehen unter Zeitdruck und versuchen mit allen Mitteln, einem Tatverdächtigen ein Geständnis zu entlocken. Sie bedienen sich dabei sämtlicher Tricks, spielen „Guter-Bulle-böser-Bulle“, arbeiten mit Drohungen, heucheln Verständnis, gehen bis hart an die Grenze des Erlaubten. Ein Kammerspiel in spartanischem Rahmen, aber dank hochkarätiger Darsteller und ausgefeilter Kameraarbeit ein herausragendes, ungemein intensives Stück Fernsehen.

Das Unspektakuläre wird spektakulär in „Homicide“, dessen amerikanischer Serientitel „Homicide – Life on the Street“ heißt. Die Autoren und Regisseure haben – nicht nur nach Meinung namhafter Kritiker in den USA – in puncto Qualitätsfernsehen neue Maßstäbe gesetzt. Starke Charaktere, intelligente Drehbücher und ein Ensemble exzellenter Darsteller – neben den bereits Genannten noch Ned Beatty, Yaphet Kotto, Richard Belzer und Clark Johnson; in Gastrollen u.a. Robin Williams, Steve Buscemi, Bruno Kirby und Lily Tomlin – wecken Erinnerungen an die Blütezeit des US-amerikanischen TV-Dramas. Für eine zeitgemäße Umsetzung ist gesorgt durch eine geschmeidige Kameraführung und einen pfiffigen Schnitt, der das Geschehen durch abrupte Jump-cuts, gewollte Überschneidungen und vorsätzliche Anschlußfehler akzentuiert. Eine gelungenere Synthese von Form und Inhalt sah man selten.

An der Entwicklung wesentlich beteiligt war der Produzent, Regisseur und Darsteller Barry Levinson, der mit dieser Serie quasi seine „Baltimore-Trilogie“ fortschreibt. Widmeten sich die nostalgisch zurückblickenden Kinofilme „Diner“ (1982), „Tin Men“ (1987) und „Avalon“ (1990) der Vergangenheit der Stadt, siedelt „Homicide“ in der Gegenwart. Der Tonfall ist grimmiger und zynischer geworden, aber noch immer findet sich ausreichend Spielraum für jenen schrägen, häufig makabren oder gar bizarren Humor, der Levinsons Figuren durch den Alltag hilft.

Erstaunlich nur, daß Vox diese veritable Programmattraktion in den späten Nachtstunden verbirgt. Hinreichend Zuschauerpotential für derlei Fernsehunterhaltung ist vorhanden, wie der Erfolg der durchaus vergleichbaren britischen Serie „Für alle Fälle Fitz“ belegt. Doch auch der Psycho- Rowdy Fitz wäre nur von wenigen zur Kenntnis genommen worden, hätte man ihn in der späten Montagnacht auf seine Opfer losgelassen. Harald Keller