Pol Pots Verschwinden aus Kambodscha nützt vielen

■ Thailands Außenminister bestätigt die Flucht des ehemaligen Führers der Roten Khmer

Bangkok (taz) — Wo steckt Pol Pot? Hat der berüchtigte Führer der Roten Khmer sein Dschungelversteck im Nordwesten Kambodschas gegen eine Villa in China getauscht? Zum Verwirrspiel um den Mann, unter dessen Regime von 1975 bis 1978 über eine Million Menschen starben, ist eine neuer Akt hinzugekommen. Pol Pot „ist nicht in Kambodscha“, erklärte Thailands Außenminister Surin Pitsuwan gestern in der Bangkoker Zeitung Nation. Er könne allerdings nicht sagen, wo sich der Chef der Roten Khmer aufhalte. In Thailand sei er „definitiv nicht“.

Damit bestätigte Surin Berichte über das Verschwinden Pol Pots, die in Kambodschas Hauptstadt Phnom Penh kursieren. Dort heißt es, der frühere „Bruder Nr. 1“ sei mit Hilfe chinesischer Diplomaten in die Volksrepublik geflüchtet, was Peking dementiert. Laut Nation hat er Kambodscha bereits Ende November verlassen. Thailands militärischer Geheimdienst ist traditionell bestens über die Roten Khmer informiert, die von ihrem Dschungelstützpunkt Anlong Veng im Grenzgebiet gegen Kambodschas Regierung kämpfen. Bis heute pflegen Thailands Militärs enge und häufig lukrative Kontakte mit der Organisation.

Zum ersten Mal seit 18 Jahren tauchte Pol Pot im Sommer nach dem blutigen Machtkampf in der Führung der Roten Khmer wieder auf: Seine früheren Weggefährten ließen ihn im Juli in einem Schauprozeß zu „lebenslangem Hausarrest“ verurteilen. Nur der US- Journalist Nate Thayer durfte das Tribunal beobachten.

Thayer konnte auch den altersschwachen Pol Pot interviewen. Der alte Despot erklärte: „Mein Gewissen ist rein.“ Seine früheren Anhänger hingegen machen ihn für alle Verbrechen der Vergangenheit allein verantwortlich. Bislang liegen die Hintergründe über das Geschehen in Anlong Veng weitgehend im Dunkeln. Möglich, daß die Roten Khmer Pol Pot opfern wollten, um sich den Weg zurück nach Phnom Penh auf die politische Bühne zu bahnen — so wie der ehemalige Rote-Khmer-Außenminister Ieng Sary, der sich 1996 von Pol Pot lossagte und Frieden mit der Regierung schloß. Zur Belohnung darf er weiter über sein Gebiet im Südwesten Kambodschas herrschen.

Immer wieder haben UN-Vertreter und westliche Regierungen, allen voran die USA, in den letzten Monaten davon gesprochen, Pol Pot vor ein internationales Tribunal oder eine Wahrheitskommission nach südafrikanischem Modell zu bringen. Ein solcher Prozeß könnte jedoch unangenehm werden: In Kambodscha sitzen heute zahlreiche ehemalige Rote Khmer in Regierung und Militär, die die Vergangenheit lieber ruhen lassen wollen. Auch China, die USA, Thailand und andere Staaten haben die Roten Khmer im Kalten Krieg politisch oder materiell unterstützt, weil Pol Pot gegen Vietnam kämpfte, das damals mit der Sowjetunion verbündet war.

So gibt es sehr viele, die froh wären, wenn Pol Pot wieder von der Bildfläche verschwindet. Ohne ihn wird es kaum zum Tribunal kommen. China hat schon viele frühere politische Schützlinge aufgenommen. Auch wenn Peking es bestreitet: Es ist gut vorstellbar, daß Pol Pot seine letzten Jahre nun in Peking oder in einem südchinesischen Dorf verbringt. Gegenüber Thayer hatte sich Pol Pot beklagt, daß sein Leben „langweilig“ geworden sei. Nur die Sendungen der Voice of America würden ihn aufmuntern. Die könnte er auch in China empfangen. Jutta Lietsch