Asyl für Kurden in Italien, Phobie vor Kurden in Bonn

■ Während Italiens Regierung den Kurden generell Asylrecht gewähren will, schürt Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) die Angst vor den Schiffsflüchtlingen. Einmal anerkannt, könnten die Kurden legal in die Bundesrepublik einreisen

Rom/Bonn/Ankara (taz/AP/dpa) – Die Bereitschaft Roms, Kurden aus der Türkei und dem Irak generell politisches Asyl zu gewähren, belastet das Verhältnis zwischen den Schengen-Mitgliedern Italien und Deutschland. Die deutschen Minister Kanther und Kinkel warnten davor, daß die in Italien in den letzten Wochen angelandeten Flüchtlinge illegal in die Bundesrepublik einreisen könnten. Der italienische Schritt bedeutet aber nun, daß die Kurden nach ihrer Anerkennung voraussichtlich legal in die Bundesrepublik einreisen können.

Die Entscheidung des italienischen Innenministers Giorgio Napolitano fiel offenbar aus Verdruß über die Weigerung insbesondere Deutschlands, die Frage der neuen Massenflucht als Problem der Europäischen Union zu betrachten und gemeinschaftlich zu lösen. Kanther und Kinkel hatten von Italien wiederholt verlangt, seine Grenzen rigoroser als bisher abzuschotten.

Die Türkei warf Italien gestern vor, das Kurdenproblem mit seiner Asylpolitik anzuheizen. In einem Brief an seinen italienischen Kollegen Lamberto Dini schrieb der türkische Außenminister Ismail Cem, jegliche Erklärungen, die als Asylangebote verstanden würden, könnten neue Flüchtlingswellen auslösen. Die Türkei betrachtet die Menschen als Wirtschaftsflüchtlinge und fordert, die Massenflucht als Frage des Organisierten Verbrechens zu behandeln. In Rom wies Napolitano die Kritik aus Ankara zurück. Ob es der türkischen Regierung nun gefalle oder nicht, für die europäischen Regierungen gebe es in Sachen Menschenrechte in der Türkei Probleme. Am Sonntag abend wollte der italienische Ministerpräsident Prodi in Rom mit Napolitano und Außenminister Dini zu einer Lageberatung zusammentreten.

Zuvor hatte Bundesinnenminister Kanther unterstrichen, daß die Bundesrepublik Erwartungen an die Partnerländer des Schengener Abkommens habe. In der Europäischen Union dürfe es keine „Transitgesinnung“ mehr geben „nach dem Motto, aus dem einen Staat kommen sie, durch den anderen ziehen sie, und in westlichen Staaten und besonders in Deutschland bleiben sie“. Für die Probleme der Kurden könne es „keine Zwischenlösung durch Zuwanderung nach Westeuropa und vor allem nach Deutschland geben“. Demgegenüber forderte der österreichische Innenminister Karl Schlögl die EU-Länder auf, die Last der kurdischen Asylbewerber gemeinsam zu tragen. Es könne nicht Italien allein überlassen werden, mit dem Flüchtlingsstrom aus der Türkei fertigzuwerden.

Innerhalb einer Woche sind in Süditalien weit über 1.000 Flüchtlinge angekommen, die meisten von ihnen Kurden aus der Türkei und dem Irak. Die türkische Küstenwache und die kurdische Nachrichtenagentur DEM meldeten unterdessen, möglicherweise seien bereits drei weitere Schiffe mit insgesamt 1.300 Menschen an Bord auf dem Weg nach Italien.

Die Konfrontation zwischen der Bundesrepublik und Italien hatte sich zum Jahreswechsel verstärkt, als das deutsche wie das österreichische Innenministerium Italien massiv „zur Einhaltung des Schengener Abkommens“ mahnte, das Immigration zum reinen EU-Außengrenzen-Problem und damit zur bloß italienischen Angelegenheit erklärt. Österreich hat die erst im November aufgehobenen Grenzkontrollen zu Italien wieder eingeführt.

Innenminister Napolitano erklärte daraufhin innerhalb weniger Stunden, sein Land werde den Kurden politisches Asyl gewähren. Diese Haltung wurde durch die Regierungskoalition ausdrücklich gebilligt. Als Staatspräsident Oscar Luigi Scalfaro in seiner Neujahrsansprache dann wieder von „Einzelfallprüfungen“ sprach, stellte das Innenministerium am Freitag erneut klar, daß dabei ausschließlich überprüft werde, ob der Antragsteller auch Kurde ist. Deutschland, Österreich und Frankreich sehen Italiens liberale Welle als Verletzung des Schengener Abkommens – obwohl darin in keiner Weise geregelt wird, wer wen als politischen Flüchtling anerkennen darf oder nicht. pat/rai

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