Heraus aus der Ohnmachtsfalle!

■ Der Psychoanalytiker Micha Hilgers untersucht die Krise der Umweltbewegung. Eine amüsante, aufmunternde Hauspostille

Die Sau quiekte, der Atomgegner grinste. Es ist mehr als 20 Jahre her, als in Wyhl am Kaiserstuhl ein Bauer die Sau rausließ. Das Tier war tätowiert: „Eberle“ (badisch: kleiner Eber) hatte es der Bauer – nach dem damaligen Wirtschaftsminister Rudolf E. – getauft und den Namen mit dicker Farbe auf die Borsten gepinselt. Es gab auch noch eine zweite Sau namens Filbinger. Beide wurden unter großem Gegröle durchs Dorf getrieben. Hinterher ging es allen besser.

Wyhl war ein grandioser Erfolg der Umweltbewegung und so etwas wie eine Initialzündung. Heute treibt keiner mehr Säue namens Merkel und Rexrodt durchs Dorf, entsprechend schlecht ist die Stimmung. Auch in den Städten gibt es kaum noch phantasievolle Aktionen, selbst die Greenpeace-Kämpfer wirken ausgemerkelt. Die Umweltbewegung kriselt.

Antworten auf Motivationskrise, Ohnmachtsfalle und Entpolitisierung versucht ein Buch von Micha Hilgers mit dem freundlichen Titel „Ozonloch und Saumagen“ zu geben. Hilgers ist Psychoanalytiker und einer der wenigen der Zunft, die sich regelmäßig einmischen. Er berät Bürgerinitiativen, weiß also, wovon er redet.

Der Analytiker legt die Umweltbewegung auf die Couch und fragt nach, warum es ihr so schlecht geht, warum sie immer so miesepetrig ist, so asketisch naturbündlerisch, verbiestert, so witzlos, unfroh, weltfremd, negativ. Warum sie so wenig aus sich macht nach all den wunderbaren Erfolgen, die sie erzielt hat. Hat sie das wirklich? Sie hat. Die Ökologie hat eine beispiellose Karriere hingelegt, sich bis in die Machteliten hinein Gehör verschafft, hat Atomparks verhindert, Autokonzerne in die Defensive getrieben, ist zur festen Bezugsgröße weltweiter Politik geworden, zur eigentlichen Opposition gegen das monströse „Weiter so!“. Die Mehrheit der Menschen unterstützt innerlich die wichtigsten ökologischen Forderungen, sie ist nur genauso hilflos, ambivalent und chaotisch, wie wir alle es in Zeiten eines Umbruchs sind. Sie ist ein potentieller Verbündeter, glaubt Hilgers, den man mit positiven Lebensentwürfen jenseits verbiesterter Fundamentalpolitik gewinnen kann.

Das Buch enthält hundert einleuchtende, sehr konkrete Ratschläge, die man vielleicht als Anregung für eine zeitgemäße Umwelt-PR zusammenfassen könnte. Die Ökologen müssen ihre Ideen besser verkaufen. Sie dürfen nicht zuviel auf einmal wollen. Sie müssen die Widersprüchlichkeiten, auch die eigenen, ernster nehmen. Wie man das nicht macht, wie man Menschen verschreckt, anstatt sie zu gewinnen, demonstrieren die Grünen perfekt mit ihrer Benzinpreis-Debatte. Ohne Not werden aus reiner Linkshaberei und ideologischer Borniertheit Wähler verjagt. Natürlich müßte der Liter Benzin eigentlich acht, zehn oder zwölf Mark kosten (fünf Mark sind längst überholt). Aber jeder Mensch mit geringstem politischem Restverstand weiß: Änderungen müssen kleinschrittig und vermittelbar erfolgen.

Hilgers würde dazu sagen: „Realpolitik und Kompromisse bedrohen die narzißtische Illusion eigener Größe, ökologischer Unschuld und Unbeflecktheit, die nur um den Preis fundamentalistischer Verweigerung aufrechterhalten werden kann.“ Keine Angst: Das Buch kommt nicht in geschraubtem Psychovokabular daher. Es ist einfach geschrieben, gelegentlich recht süffig pointiert mit einzelnen Ausflügen in die Sprache des Seelenkundlers. Besonders schön ist die Beschreibung der SPD als „Selbsterfahrungsgruppe für Enkel“ oder des Kolossalkanzlers als „Mischung zwischen Lebensfreude und Adipositas“.

Ein politisch zentraler Gedanke von Hilgers' Buch betrifft die soziale Krise, die Neuorientierung der Umweltaktivisten in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit. Daß die Ökobewegung nie eine soziale Bewegung war, rächt sich jetzt. Hilgers macht noch einmal klar, daß „die soziale Frage über die Zukunft der Umweltbewegung entscheidet“. Wer arbeitslos ist, verarmt oder 610-Mark-Verdiener, ist mit seinen Alltagsschwierigkeiten so stark beschäftigt, daß er zuletzt an Müllsortieren und Tempo30 denkt. Wenn die Kassen leer sind, sinken auch die Chancen für umweltpolitische Projekte. Und die ökologische Herausforderung verschwindet hinter der wirtschaftlichen Krise.

Das Buch ist ein Brevier gegen den Fatalismus. Es hilft bei der Suche nach politischen Perspektiven in unübersichtlicher Zeit, versucht ein neues Lebensgefühl zu vermitteln und zu motivieren. Nachhaltig. Aber leider wissen nur 11 Prozent aller Deutschen, was Nachhaltigkeit ist. Auch so eine PR-Katastrophe, die sehr schön die Defizite zeigt. Manfred Kriener

Micha Hilgers: „Ozonloch und Saumagen – Motivationsfragen der Umweltpolitik“. Hirzel Verlag, Stuttgart/Leipzig 1997, 196 Seiten, 38 DM