„400.000 Ostmark war viel Geld“

Für den letzten DDR-Innenminister, Peter-Michael Diestel, ist die Anklage wegen Untreue eine „Ulknummer“. Der Anwalt Diestel plädiert auf Freispruch  ■ Aus Berlin Barbara Bollwahn

Hinter Peter-Michael Diestel, letzter Innenminister der DDR, ehemaliger Brandenburger CDU- Chef und einstiger Präsident des FC Hansa Rostock, liegen große Auftritte und Niederlagen. Der 45jährige, den der frühere DDR- Devisenbeschaffer Alexander Schalck-Golodkowski zu seinen Freunden zählt und der jetzt als Anwalt sein Geld verdient, war vor einem halben Jahr mit Sprüchen vom „Oberochsen aus dem Osten, der die Karre im Osten ziehen muß“, wieder aus der politischen Versenkung aufgetaucht. Glaubt man den Worten des gelernten Melkers und Schwimm-Meisters, der sich seit gestern vor dem Berliner Landgericht wegen Veruntreuung verantworten muß, gehört der Prozeß zu den Highlights in seinem Leben. „Es ist mir eine große Ehre, vor diesem Gericht und vor diesem Richter in dieser Prozeßsituation aufzutreten“, sagte er zu Beginn der Verhandlung. „Nunmehr wird mir Gelegenheit gegeben, neun Jahre nach der Erstattung einer unbegründeten Strafanzeige gegen mich, in einem rechtsstaatlichen Verfahren die gegen meine Familie und mich ausgelöste Hetzkampagne zu beenden.“

Die Staatsanwaltschaft wirft Diestel vor, am 27. Juli 1990 in seiner Amtszeit als DDR-Innenminister für rund 193.000 Mark ein Villengrundstück am Ufer des Zeuthener Sees, unweit des südöstlichen Berliner Stadtrandes, erheblich unter Wert gekauft zu haben. Die Villa aus dem Jahr 1930 war vom DDR-Innenministerium als Gästehaus genutzt worden. Der tatsächliche Wert des etwa 3.500 Quadratmeter großen Grundstücks habe 770.000 Mark betragen, so die Staatsanwaltschaft. Mitangeklagt sind zwei ehemalige Mitarbeiter des Innenministeriums und ein Grundstücksgutachter, die bei dem Kauf behilflich gewesen sein sollen.

Während der Befragung durch den Vorsitzenden Richter wurde aus dem siegessicheren Diestel ein Angeklagter, der ähnlich einem Ladendieb, unruhig mit den Füßen auf dem Boden hin- und herscharrte. Tönte er bei Bekanntwerden der Klage von einem „Akt der Verfolgung Unschuldiger“, sagte er gestern Sätze wie „Die Zeit hat sich damals überschlagen“ oder „Ich war nicht der Mächtigste und nicht der Schlauste“. Für ihn sei klar gewesen, daß der Kauf „von öffentlichem Interesse“ sei und somit „korrekt sein muß“. Immerhin habe der damalige Finanzminister Walter Romberg (SPD), „aus der gegnerischen Partei“, den Kauf genehmigt und Ministerpräsident Lothar de Maizière (CDU) zugestimmt. Er selbst habe das Gefühl gehabt, der Kaufpreis sei „zu teuer“ gewesen. Damals seien 400.000 Ostmark „viel Geld“ gewesen.

Vor einigen Wochen zogen die Diestels aus

Das sahen jedoch bereits im September 1990 etwa 1.000 Menschen anders. Sie demonstrierten vor Diestels Haus gegen den „Wendegewinnler Diestel“. Für Aufregung hatte auch eine Mauer um das Grundstück gesorgt, die aus „sicherheitspolitischen Gründen“ errichtet werden sollte. Anstelle der Mauer wurde schließlich eine Hecke gepflanzt.

Der Bundesgerichtshof (BGH) annulierte schließlich 1994 den Kaufvertrag wegen erheblichen Mißverhältnissen zwischen Kaufpreis und wahrem Wert und forderte Diestel zur Räumung auf. Selbst nach der Arbeitsrichtlinie des DDR-Wirtschaftsministeriums vom Juli 1990 sei der wahre Wert des Villengrundstücks 3,6mal so hoch wie der vereinbarte Kaufpreis. Vor einigen Wochen zogen die Diestels nach einem Vergleich mit dem Innenministerium aus.

„Die Anklage ist unbegründet“, sagte Diestel in einer Prozeßpause wieder voller Selbstbewußtsein. „Ich bin froh über die Hauptverhandlung, um nachzuweisen, daß es eine Ulknummer ist“, sprach er in die Fernsehkameras. „Das ist ein traditionsreiches Gericht, vor dem Ostdeutsche regelmäßig angeklagt sind“, sagte Diestel weiter. „Als einer der ersten will ich mit einem Freispruch rausgehen. Ich bin überzeugt, das wird gelingen.“