„Weser geiht“mit revolutionärem Schneider

„Solidarität“, ruft der kleine Mann im Frack mit orangenem Vulkan-Helm auf dem Kopf. „Gegen Lohndrückerei und Ausbeutung der arbeitenden Klasse“, fügt er noch hinzu. Es ist der Tag der Eiswette, Schneider -der-Schelm hält seinen Jahresrückblick, statt flatternder roter Fahnen fließt im Hintergrund die Weser.

Das Publikum besteht überwiegend aus Rentnern und Kindern mit ihren Müttern. 300 Menschen frieren um die Mittagszeit im rauhen Wind. „Ich komme jedes Jahr“, sagt eine 75jährige. Schön sei es auch dieses Jahr gewesen, wie schon in den vergangenen zehn Jahren. „Was soll ich sonst machen? Ich bin ja eh allein.“

Das Heeresmusikkorps I aus Hannover tuscht während der einstündigen Zeremonie was das Zeug hält. Hinter ihm haben sich Polizisten aufgebaut. Sie schützen Innensenator Ralf Borttscheller (CDU) – im Rollenspiel der Eiswette der notarius publicusmit lockiger Perücke, der von einigen Demonstranten auf einem Transparent wegen seiner Ausländerpolitik angegriffen wird. König Melchior, dicht neben Borttscheller, wurde mit Schuh-Wichse schwarz angemalt.

Niemand ist erstaunt, als Präsidium und Novizen per Steinwurf feststellten, daß die Weser „geiht“, nicht „steiht“. Der aufmüpfige Schneider war schon längst mit dem Schiff über die Weser entfleucht. Regen setzte ein, so daß sich das Publikum im nu verstreute. susa/F: Wolff