■ Aberration von der Wahrheit, Irritation der Leser
: Bratkartoffelgipfelgegendarstellung

Da sitzt unsereins beim Müsli, kaut Getreidecrunchies und verdorrte Datteln, es schlägt zwölf und man selbst die Zeitung auf – und dann? Verleumdung, Nachrede, ein Hieb mit der Teflonpfanne über des Lesers Kopf!

Was Michael „The Liar“ Rudolf hierselbst (taz vom 2.12.) an tumorigen (und eben nicht humorigen!) Falschinformationen ungehindert streuen und vor die speckabwerfenden Säue pfeffern durfte, schlägt dem Bierfaß den Boden aus und mir auf den robusten Magen.

Beim Federstrich! Ja, so viel ist richtig, ich sprach vor den Teilnehmern des „Kaligeroder Bratkartoffelfestivals“ (der korrekte Titel besagter Großveranstaltung), und ich referierte angelegentlich des „Zwiebelringekreises“ (nicht des „Speckseminars“ wie Rudolf glauben macht, aber das ist die Schule der DDR-Historiographie) die bedeutende Rolle der heißen Kartoffelbemme in der Kultur-, vornehmlich in der Geistes-, besonders in der Philosophie-, präzise: in der Literaturgeschichte. Kein Wort zur Frage, ob Adorno Schinkenspeck zugelassen und gegenüber einer Verwendung seiner positiv sich geäußert haben könnte! Hätte Herr Rudolf, der wohl seine persönlichen „Pinkelpausen“ weidlich „ausdehnte“, nur hingehört. Aber nein. „Die Zersetzung von Wahrheit durch Meinung samt all dem Verhängnis, das sie involviert, weist zurück auf das, was, zwangvoll und keineswegs als unwiderrufliche Aberration, mit der Idee von Wahrheit selber sich zutrug.“ (Theodor W. Adorno: „Eingriffe“, Frankfurt/Main 1963, p. 156)

Doch Bratfett bei die Scheiben! Ich fasse meinen Vortrag in seinen wesentlichen Items sinnrichtend zusammen. Zunächst war mir um die Darlegung der durchaus diätetischen Wirkung der Bratkartoffel bei Einsatz feinsten kalt gepreßten Olivenöls sowie unter Hinweglassung sämtlicher Schweine- und sonstiger Speckanteile sowie reichlicher Dreingabe von französischen Echalotten (Rudolf selbst hat sie gekauft und in meine Küche gelegt) zu tun. Tosender Beifall! Die Delegierten erhoben sich zum Teil von ihren Klappstühlen. Anschließend plauderte ich weitläufig aus meinem großräumigen Bratkartoffelerfahrungsschatz (während meiner Tübinger Jahre bekochte ich eine Dame mit in vier Zentimeter Öl getauchten rohen Kartoffelplatten), skizzierte den legendären Kartoffelpufferpulverstreit zwischen Maggi, Pfanni und Magirus-Deutz, zog mehrere Leninsche Lehren daraus und schwonk zur Literarhistorie über, den echten Bonmots.

Also: Goethe haßte die Bratkartoffel wie die Brille und den Zigarrenrauch, weil er ein dummer Backfisch war, Schiller hob seinem Bratkartoffelbrei faulichte „Erdäpfel“ (wie der Mittelfranke die Kartoffel nennt) unter, Robert Musil kaufte bei Penny ein, und Ernst Jünger badet noch heute allmorgendlich in heißem Bratkartoffelfett vom Vortag: „Das härtet ab und stählt die Nerven.“ (Siebzig verkehrt VIII) Kann man knapper den Bedeutungsumfang der Bratkartoffel und ihre dialektisch-geistesgeschichtliche Geworfenheit (die einen legen, die anderen schmeißen die Scheiben ins dampfende Öl, die wieder anderen schmeißen sie weg) eruieren? Ich meine doch bloß ja.

Apropos Ritchie Blackmore und dessen Cateringgewohnheiten: Wer bettelt denn seit Jahren um eine Kopie des Videos „Live at the Eltzer Hof“? Der heimlich in hölderlinsch hohen Gitarrenbreittönen quietschende Tony-Iommi- Hymniker Rudolf? Ha! Das hat (freilich, okay) mit Bratkartoffeln nur noch entfernt was an der Pfanne. Nie jedenfalls widerfuhr den mannigfachen Phänotypen der Bratkartoffel wüstere Diskriminierung, nie ward die Erforschung des Heißölgeschmurgels schimpflicher in den Dreck der gemeinen ostdeutschen Ackerkrume gezogen, ja getreten, ja gestampft!

Was für ein würdeloses Schauspiel um die Wissenschaft der Bratkartoffel! Die Wahrheit-Redaktion muß schleunigst „eingreifen“ (Adorno), bevor die Angelegenheit eskaliert. Oder wollen Sie ein neues Libanon schaffen entlang der Grenze zwischen Hessen und Thüringen? Ich fordere den Greizer zum Duell und die Versachlichung der Diskussion! Jürgen Roth