Betriebsamkeit auf Druck der Straße

Frankreichs Arbeitslose geben nicht auf: Mit einem Aktionstag wollen sie heute in Paris für ihre Forderungen demonstrieren. Für die linke Regierung ist die Arbeitslosenbewegung der erste harte Konflikt  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Frankreichs Arbeitslose sind nicht mehr zu stoppen. Gestern, am Tag nachdem die Polizei teilweise mit Knüppeln Besetzungen in Perpignan und Limoux beendet hatte, erweiterten sie ihre Aktionen auf insgesamt 18 besetzte Arbeitsämter sowie mehrere vorübergehend besetzte Parteibüros im ganzen Land. Zugleich bereiteten sie sich auf den heutigen „nationalen Aktionstag“ mit Demonstrationen in Paris vor. Die Aufrufe der sozialistischen Arbeitsministerin Martine Aubry und der Chefin der sozialdemokratischen Gewerkschaft CFDT, Nicole Notat, die Arbeitslosen sollten ihre „minoritären“, „illegalen“ und „ungerechtfertigten“ Aktionen abbrechen, quittierten sie im nordfranzösischen Arras, indem sie eine Notat-Stoffpuppe verbrannten. Aus der südfranzösischen Region Bouches-du-Rhone kam die Drohung: „Wir können endlos weitermachen.“

Die „Arbeitslosenbewegung“ bestand zwar auch gestern noch aus nur ein paar tausend Aktivisten, doch kann sie inzwischen auf breite Unterstützung rechnen. Nicht nur, weil zwei Drittel der Franzosen ihre Aktionen mit Sympathie verfolgen, wie Demoskopen im Zeitungsauftrag ermittelten, sondern auch, weil mehrere Ministerinnen — die Grüne Dominique Voynet und die Kommunistin Marie-Georges Buffet — sowie der kommunistische Parteichef Robert Hue sich ausdrücklich hinter sie gestellt haben. Selbst der Chef der oppositionellen „Démocratie Liberale“, Alain Madelin, der sonst Streiks regelmäßig als „Nötigung“ kasteit, erklärte diese Bewegung für „legitim“.

Zwei Arbeitslosenverbände sowie die in der kommunistennahen Gewerkschaft CGT organisierten Arbeitslosen hatten die medienwirksamen Aktionen kurz vor der Weihnachtspause begonnen. Tagelang beherrschten sie in der nachrichtenarmen Zeit die Bildschirme. Ihre Forderungen nach einer „Jahresendprämie“ in Höhe von 3.000 Francs (rund 900 Mark), nach einem garantierten Mindesteinkommen von 1.500 Franc (rund 454 Mark) für alle Arbeitslosen, einschließlich der unter 25jährigen, die gegenwärtig nicht einmal Sozialhilfe bekommen, sowie der Wiedereinführung der Härtefallhilfen, die im letzten Jahr gestrichen worden waren, leuchten den meisten Franzosen ein. Zumal auch der linken Regierung kein wirksames Mittel eingefallen ist, wie die Zahl von über drei Millionen offiziell registrierten Arbeitslosen zu vermindern sei.

Auf Regierungsseite löste die neue Bewegung hektische Betriebsamkeit aus: Arbeitsministerin Aubry kündigte auf Druck von Premierminister Lionel Jospin am vergangenen Samstag eine Sonderhilfe in Höhe von 500 Millionen Francs (151 Millionen Mark) für die Fortbildung von Langzeitarbeitslosen an und will am kommenden Montag eine Delegation der Arbeitslosen empfangen. Gleichzeitig verlangte sie ein Ende der Aktionen. Der kommunistische Transportminister Jean- Claude Gayssot seinerseits traf am Wochenende mit Arbeitslosen zusammen und sicherte ihnen Preisnachlässe für die Pariser Metro.

Auch auf seiten der Gewerkschaften sorgte die Bewegung für Überraschung und widersprüchliche Reaktionen. Uneingeschränkt hinter die Bewegung stellte sich nur die CGT, die auch die einzige französische Gewerkschaft ist, die seit langem eine eigene Struktur für Arbeitslose hat. Die Forderung nach einem garantierten Mindesteinkommen liegt in der Logik der CGT-Programmatik. Hinzu kommt, daß die CGT davon ausgeht, daß die miserabel unterstützten Arbeitslosen, die bereit sind, auch den schlechtest bezahlten Job anzunehmen, einen unerträglichen Druck auf die noch Beschäftigten ausüben.

Ganz anders reagierte die zweitgrößte Gewerkschaft CFDT, deren Chefin Notat seit 1996 auch den Vorsitz der paritätisch besetzten französischen Arbeitslosenversicherung (Unedic) innehat. Obwohl die kämpferischen Arbeitslosen von vornherein ein Gespräch mit der Unedic-Chef gefordert hatten, hüllte sich Notat wochenlang in totales Schweigen. Am Montag meldete sie sich erstmals zu Wort. In einem langen Interview mit der Zeitung Libération versuchte sie, die „Arbeitslosenbewegung“ herunterzumachen, nannte sie „manipuliert“ und kritisierte, daß Arbeitsämter besetzt würden, obwohl die „nicht der Gegner der Arbeitslosen“ seien.

Grundsätzlich sind die CFDT und die andere große reformistische Gewerkschaft FO gegen ein garantiertes Mindesteinkommen, das ihres Erachtens die „vorübergehende Situation der Arbeitslosigkeit“ institutionalisieren würde. FO-Chef Marc Blondel sprach sich gestern polemisch gegen „Tarifverträge mit Urlaubsprämien für Arbeitslose“ aus.

Wenn heute nachmittag der mit Gewerkschafen und Arbeitgebervertretern besetzte Aufsichtsrat der Unedic zusammentritt, um über das Budget der Arbeitslosenversicherung zu beraten, werden vor den Toren des Pariser Gebäudes erneut Arbeitslose mit der Parole „Wer Elend sät, wird Wut ernten“ und der Forderung nach langfristiger Existenzsicherung demonstrieren. Vom Abbruch der Aktionen wollen sie nichts wissen. „Warum sollte ich?“ fragt eine Arbeitslose in Marseille, „was habe ich schon zu verlieren?“

Für die rot-rosa-grüne Koalition sind die Aktionen der erste ernste Konfliktfall. Genau wie die Konservativen, die vor zwei Jahren nicht erkannt hatten, mit welcher Wucht der öffentliche Dienst streiken würde, und die vor einem Jahr übersehen hatten, wie groß die Gegnerschaft gegen ihre Einwanderungsgesetzgebung war, sind jetzt die Linken mit einer Protestbewegung konfrontiert, die außerhalb der etablierten Institutionen entstanden und ebenso spontan wie unberechenbar ist.