Der lange Ritt in die Freiheit

■ Kein Getanze, kein Gegrübel, keine Gesinnung: die nonkonformistische Klangkunst von Steiner

Ganz am Ende, da steht die Band. Von außen gesehen erscheint sie nur als Ansammlung zweier Junggebliebener, die gemeinsam Musik machen. Im Inneren aber brodelt das Ego, kocht das Mitteilungsbedürfnis, und das will hinaus. Hinaus in die Öffentlichkeit, um aktiven Austausch zu üben. Im Erfolgsfall ist das ein großer persönlicher Triumph.

Auch Steiner (Foto) können davon mehr als ein Lied singen. Die Jugend wurde in der Provinz verbracht, die Hölle namens Kleinstadt voll mitgekriegt. Irgendwann platzt einem der Kragen von all dem Teppichbrücken-Mief, dann heißt es: Ab in die nächste Großstadt! Dorthin, wo Entfaltung lockt und sich Musikfreaks der Identitätsstiftung im Plattensammeln oder Bandgründen hingeben.

Holger in't Veld, die eine Hälfte von Steiner, weiß noch genau, woher er kommt, nämlich aus Peine in Niedersachsen. Zusammen mit dem Freiburger Gitarristen und Maler Christian Kintz hat der taz-Autor und Tausendsassa der Hamburger Popjournaille nach erfolgter Landflucht 1993 seine eigene Band gegründet, um all das auszuloten und umzudeuten, was ihm die neuere Musikgeschichte bislang rein rezeptiv an Klanggeschichten bot. Auf dem 95er Debüt FF drückte das Duo seine kleine Hörerschaft mit freigeistigen Soundexperimenten und Popzitaten noch hart an die Wand. Jetzt folgt Ich weiß, wo du wohnst und wartet mit zwei Neuerungen auf: die Entdeckung des Beat sowie die Einverleibung von Alltags-Trash als dessen Übersetzungsorgan. Titel wie „Da sag ich nicht nein“oder „Steckt alles im grünen Bereich“strotzen vor Floskelmüll. Sie erfahren in ihrer direkten Konfrontation mit den positiven und allumfassenden Entdeckungen aus Instrument und Sampler eine Art ohrenöffnende Läuterung. Hier haben Leute erkannt, daß die angeblich lähmende Tristesse der eigenen Umgebung zu unglaublichen Song-Kraftprotzen erstarken kann.

Diese Erfahrung haben gerade in Hamburg enorm viele Bands gemacht. Doch Steiner kennen deren Punkrock gut genug, um nicht Teil von ihm werden zu wollen. Auch dem bekannten Autoren-Pop unserer Stadt gönnen sie höchstens einen Seitenblick. Bei in't Veld und Kintz soll weder getanzt noch gegrübelt oder Gesinnung vorgegaukelt werden. Steiner spielen sich an allen vorbei und überlassen das Brückenbauen lieber befreundeten Remixern.

Oliver Rohlf

Sa, 10. Januar, 21 Uhr, Molotow