„Es müssen noch ein, zwei Klubs kaputtgehen“

Der OSC Rheinhausen dürfte nicht das letzte Unternehmen der Handball-Bundesliga bleiben, dem die Kohle ausgeht. Die dank explodierter Lohnkosten enorm gestiegenen Etats sind kaum noch seriös zu kalkulieren. Das Problem ist zwar erkannt – Konsequenzen mag aber keiner ziehen  ■ Von Jörg Winterfeldt

Lemgo (taz) – So richtig mochte das Magdeburger Spiel nicht zusammenlaufen am Dienstag abend in Lemgo. Zwischendurch wieselte gar der verletzte Rückraumwerfer Vigindas Petkevicius immer wieder an die Linie, um dem vor der Saison aus Spanien verpflichteten Russen Wiatscheslaw Atawin Instruktionen in seiner Muttersprache zu übermitteln. Das 20:25-Viertelfinal-Pokalaus der wenig widerspenstigen Truppe vermochte auch das nicht zu verhindern. „Dabei“, versicherte der SCM-Manager Bernd-Uwe Hildebrandt, „versteht der sonst alles; vielleicht war's zu kompliziert.“

Die Konsequenzen aus der Niederlage für sein mittels teurer ausländischer Kräfte auf Erfolg getrimmtes Ensemble resümierte er in knappen Worten: „Nun müssen sie die Europapokal-Qualifikation eben in der Bundesliga schaffen.“ Wie viele andere Handball-Bundesligisten war Magdeburg mit einem aufwendig modifizierten Kader und großen Erwartungen in die Saison gegangen, anders als die meisten Konkurrenten ist man mit dem dritten Platz in der Liga zufrieden, denn das Ballwurfgeschäft boomt in der Börde, auch wegen seines weitgehenden Spitzensportmonopols in Sachsen-Anhalt. Dank einer schicken neuen Sporthalle belohnten bisher 6.000 Zuschauer im Schnitt pro Spiel Hildebrandts Investitionen statt der lediglich 2.411 pro Partie in der vergangenen Spielzeit.

Weil auch Pokal-Gastgeber Lemgo das Fassungsvermögen seiner Lüttfeld-Halle mittels eines 10,2-Millionen-Mark-Ausbaus um ein Drittel erhöhte und der Aufsteiger Eisenach respektable Besucherquoten erzielte, registrierte die Bundesliga in der Hinrunde eine Zuschauerzunahme von zehn Prozent. Dennoch regiert dieser Tage Tristesse in den administrativen Abteilungen der Liga: „Die Liga“, fürchtet Wallau-Massenheims Manager Bodo Ströhmann, „boomt sich kaputt.“

Der Frankfurter Vorort mit dem Drei-Millionen-Mark-Etat vermag erst bis zum 20. Januar zu entscheiden, ob er trotz sportlicher Qualifikation weiterhin erstklassig konkurrieren will, weil die anfängliche Saisonunterdeckung von 300.000 Mark durch übertrieben optimistisch kalkulierte Eintrittskartenerlöse bereits um die Hälfte angestiegen ist.

In Wuppertal, beim achtbar agierenden Aufsteiger, zieht sich der WSV im Sommer nach zwei Jahren aus der Fusion mit dem LTV zurück, nimmt den Hauptsponsor mit und gleichzeitig auch das Gros der finanziellen Grundlage. In Gummersbach mußte sich der erfolgreichste Handball-Verein der Welt mangels Liquidität für etwa 1,7 Millionen Mark einem einzelnen Geldgeber derart verschreiben, daß Paul-Gerhard Reimann, der als Beiratschef den TBV Lemgo mit seriösem Geschäftsgebaren zum dauerhaften Titelkandidaten beförderte, den oberbergischen Klub „nur noch am Fliegenfänger von Maxima hängen“ sieht. Dabei mutierte unlängst ausgerechnet die Kölner „Maxima Sportmanagement und Consulting GmbH“ bei den vergeblichen Reanimationsbemühungen beim Konkurs-Kandidaten OSC Rheinhausen zum Sterbehelfer, indem sie öffentlichkeitswirksam geweckte Hoffnungen nicht erfüllen konnte.

Mitten in der Saison mußte der Duisburger Verein am Silverstertag 1997 um 11.21 Uhr offiziell den Rückzug bekanntgeben und „stürzte eine ganze Sportart in tiefe Depression“ (Handball-Woche). Eine knappe halbe Million Mark fehlten den Rheinhausenern im laufenden Etat.

Zu allem Überfluß scheiterte auch noch der Versuch des Deutschen Sport-Fernsehens (DSF), einem armen Mann in die Tasche zu greifen, indem es von den Handball-Erstligisten seit Jahresbeginn bis zu 35.000 Mark Produktionskostenbeteiligung für die weitere Ausstrahlung von Live-Spielen abstauben wollte. Im Gegensatz zu den Tischtennis-Klubs, die 600.000 Mark berappen, weigerten sich die Ballwurf-Bosse einhellig, dem Zweitverwerter nach ARD und ZDF das Programm zu finanzieren. Seither fällt der Luxus aus.

Vor allem die großzügige finanzielle Ausstattung der Ballwerfer, mit der die Liga sich den globalen Qualitäts-Superlativ eingesackt hat, verursacht die Misere. Über „eine böse Entwicklung“ flucht Lemgos Reimann. Die Spielergehälter würden „in aller Regel netto ausgehandelt“: Wenn dann die Lohnnebenkosten wie in den vergangenen Jahren explodieren, sind langfristige Verträge kaum noch kalkulierbar. „Die breite Masse der Spieler“, schimpft der ostwestfälische Finanzexperte, „verdient zuviel Geld – die Gehälter laufen nach wie vor weg.“

Die Spieler nutzen ihren Marktwert weidlich. 40.000 Mark netto monatlich plus Haus und Auto soll der Kirgise Talant Duschebajew im beschaulichen Lübecke beim TuS Nettelstedt verdienen, um dem Provinzklub den großen Ballwurf-Coup zu garantieren. Der Weißrusse Andrej Klimowets aus Rheinhausen etwa forderte bei Vertragsverhandlungen in Nettelstedt für seine Unterschrift ganz unbescheiden Vorkasse eines kompletten Jahresgehalts. Das „Verrückte an der Geschichte“, findet Lemgos Beiratsboß Reimann, „daß Menschen diese Gehälter bedenkenlos zahlen, die in ihrem Hauptberuf solide Geschäftsleute sind.“ Es dauerte nicht einmal eine Woche, bis beinahe die komplette Rheinhausener Konkursmasse anderswo spendable Handball-Provinzfürsten fand. Klimowets landete in Flensburg.

Die Großverdiener setzen ihre Macht skrupellos ein. In Großwallstadt scheiterte der Trainer Thomas Gloth bereits nach zwei Spieltagen, weil er nach derben Schlappen seine Mannschaft zu kritisieren wagte: Seine Verlierer hätten ausgesehen, „als seien wir auf einem Kegelausflug“. Gloth wurde laut offizieller Pressemitteilung entlassen, weil „er keinen Zugang zu den Spielern mehr gefunden“ hatte. Einen Tag vor Heiligabend wurde schließlich in Nettelstedt der Ungar Lajos Mocsai geschaßt, nachdem der Klub tatenlos des Trainers Autorität schwinden ließ – sein Star Duschebajew durfte ihn in einer Sportgazette ungestraft einen „ahnungslosen Trainer“ nennen, der „vom ersten Tag an alles falsch gemacht“ habe.

Im betulichen Lemgo hingegen scheiterte die Rebellion des Nationalspielers Mike Bezdieck, am Dienstag gegen Magdeburg bester Torschütze seines Teams, an den geordneten Machtverhältnissen im Klub. Der Spieler wurde intern nach Ausfällen gegenüber dem Trainer Youri Schewtsow gerüffelt, die Zuschauer forderten per Transparent „Bezze – kein Tsov mit dem Chev“.

Die multiplizierten Investitionen der Klubs verlangen schnelle Rendite. „Natürlich gerät der Trainer mehr unter Druck“, gesteht Magdeburgs Zahlmeister Hildebrandt, „wenn ich ihm Topspieler einkaufe.“ Daß sein Übungsleiter Lothar Doering derzeit einen Herzinfarkt auskuriert, mag er vorzugsweise auf dessen „50 Zigaretten pro Tag seit 30 Jahren“ zurückführen.

Die über respektable Einkommen zu Einfluß gelangten Werfer müssen derweil kein Ende der paradiesischen Zustände fürchten, weil der Liga die Einheit bei der Problembewältigung abgeht. „Jedem sitzt sein Hemd am nächsten“, beobachtet der Lemgoer Funktionär Reimann resigniert: „Es müssen anscheinend noch ein, zwei Klubs kaputtgehen, damit Vernunft greift.“

In Magdeburg hingegen wähnt sich der Manager Hildebrandt durch die Schreckensmeldungen seinen Visionen näher als zuvor. Er plädiert für die Einführung von Play-off-Runden nach der Normalsaison, um die Attraktivität zu erhöhen, „weil dann in jedem Spiel für jeden Fernsehzuschauer nachvollziehbar eine Entscheidung fällt“. Auch die Optimierung des jungfräulichen Lizenzierungsverfahrens mahnt er nach der Rheinhausen-Pleite an, inklusive der Erhöhung der Kaution von 100.000 Mark, die jeder Erstliga-Klub vor Saisonbeginn hinterlegen muß.

Zuweilen allerdings reguliert sogar der Verstand der hochdotierten Ballwerfer die unheilvolle Preistreiberei wie von selbst: Lemgos Schweizer Nationalspieler Marc Baumgartner kündigte am Montag zum Vertragsende im Juni seine Rückkehr in die Heimat an. Dort wird Baumgartner (26) unter finanziellen Einbußen beim Serienmeister Pfadi Winterthur nur noch nebenbei Bälle werfen und hauptsächlich sein Studium reaktivieren. Lemgos Shooter hält das für die geeignetste Absicherung seines späteren Lebens.