■ Gentechnologie: US-Wissenschaftler will Menschen klonen
: Die letzte Grenzverschiebung

Es wird spannend. Der erste Wissenschaftler hat den Mut, sich öffentlich hinzustellen und das Ungeheuerliche zu sagen: „Jawohl, ich will einen Menschen klonen.“ Damit ist es raus. Die schaurigen Phantasien der Science-fiction stehen vor der Tür als ganz reale Zukunft. Die Wundertüte der Gentechnik und Reproduktionstechnologie hält die nächste Etappe ihres Möglichkeitsspektrums bereit: den Kunstmenschen, das kopierte Leben von der Stange, das Ende des Individuums.

Wird es so weit kommen? Wird die „Authentizität des Selbstseins“, die Einzigartigkeit des eigenen Lebens, erstickt durch das Dublikat, den Abklatsch des anderen: Das Kind blättert im Familienalbum und sieht auf alten Fotos des „Vaters“ – er soll ja im vorliegenden Fall geklont werden –, wie es selbst in zehn oder fünfzehn Jahren aussehen wird? Der Vater als Zwilling?

Es reicht nicht, sich zu gruseln. Auch der Hinweis, daß der US-Forscher Richard Seed, der das Experiment – notfalls im Ausland – um jeden Preis durchsetzen will, ein bißchen crazy ist, zählt nicht. Man muß ihn ernst nehmen. Wie schon bei dem Schaf Dolly, dem berühmt gewordenen Einfallstor der Klonierungstechnik, steht die Weltgemeinschaft wieder vor der Frage, ob sie diese, man könnte fast sagen, letzte Grenzverschiebung akzeptieren wird. Ob sie einen schon Jahre andauernden ethischen Erosionsprozeß endlich stoppen wird. Die Technik des Klonens ist zwar nicht mehr aus der Welt zu schaffen, aber ihre Anwendung ließe sich genauso ächten wie Senfgas und Landmine.

Jetzt muß sich zeigen, was der große Empörungschor des vergangenen Jahres wert war. Damals haben alle, von Bill Clinton bis zur deutschen Bischofskonferenz, übereinstimmend beteuert, daß es niemals zum Klonen eines Menschen kommen dürfe. Es ist soweit, Flagge zu zeigen und deutliche Verbote auszusprechen, auch in den USA.

Es geht nicht um irgendeine Frankensteiniade oder um die Chance, einer unfruchtbaren Familie endlich den genetisch eigenen Nachwuchs bereitzustellen. Es kann auch nicht darum gehen, durch eine Konkurrenz zwischen Natur und Technik die möglichst beste Art der Vermehrung zu ermitteln. Es geht um die Wurst. Die Wissenschaft rüttelt an den Grundfesten der Gesellschaft. Der Klon ist ein Angriff auf die menschliche Integrität. Er ist der Anfang einer neuen Anthropologie. Denn danach wird es keine Hemmungen mehr geben für Zuchtphantasien aller Art. Mr. Seed (was für ein Name!) muß gestoppt werden. Manfred Kriener