Montenegros Kampf um Gleichberechtigung

■ Unter dem neuen Präsidenten Djukanović wehrt sich die kleine Balkanrepublik gegen die Gängelung durch Belgrad. Djukanović' Gegner hat jetzt zu Massendemonstrationen aufgerufen

Podgorica (taz) – Serben und Montenegriner haben gestern das orthodoxe Weihnachtsfest gefeiert. Doch während der Festtage sprachen die Montenegriner nicht etwa über christliche Nächstenliebe, sondern über die Gefahr eines Bürgerkrieges mit den Brüdern aus Serbien. „Wenn hier auch nur ein einziger Mensch getötet wird, dann ist der Teufel los, dann wird man bald Bosnien vergessen“, erregt sich der 40jährige Misko Perović, Besitzer einer Pizzeria in der Küstenstadt Petrovac. „Ich habe alles im Leben, was ich brauche, zwei Kinder und ein gutes Geschäft. Doch ich würde alles zurücklassen, um Montenegro zu verteidigen. Einige tausend Montenegriner empfinden genauso wie ich“, behauptet er. „Indem wir für ein mit Serbien gleichberechtigtes Montenegro kämpfen, kämpfen wir für Jugoslawien. Unser neuer Präsident, Milo Djukanović, ist ein überzeugter Anhänger der jugoslawischen Idee. Kein Mensch spricht hier von einer Sezession, das ist ein Thema der serbischen Staatsmedien.“

Als vor sechs Jahren das ehemalige Jugoslawien zerfiel, schlossen sich Serbien und Montenegro zur Bundesrepublik Jugoslawien zusammen. Nun will Montenegro unter Führung des jungen, energischen Milo Djukanović nach Europa und empfindet die „rückständige“, von der internationalen Gemeinschaft kritisierte Politik des jugoslawischen Bundespräsidenten Slobodan Milošević als selbstmörderischen Ballast.

Anders als in Serbien werden in Montenegro Renten und Gehälter regelmäßig ausgezahlt, der Durchschnittslohn ist höher, Zoll und Steuern auf importierte Waren sind niedriger. Montenegro tut alles, um die Grenzen zu öffnen und den Tourismus anzukurbeln.

Der von Montenegro aufgestellte Bundesvizepremier, Vojin Djukanović, sagt dazu: „Zum Verfall des Dinars und der Inflation kommt es, weil die Postsparkasse und die meisten Banken in Serbien gedrängt werden, real nicht existierendes Geld als Renten und Löhne gutzuschreiben.“ Milošević habe so zwar Punkte vor den serbischen Wahlen gesammelt, mittelfristig sei das aber katastrophal. Daher werden in Montenegro die Stimmen immer lauter, die eine eigene Währung, den „Perper“, fordern.

Und das auch aus einem anderen Grund: Die Einfuhr von montenegrinischen Waren nach Serbien von Belgrad wird systematisch behindert. „Die Bundesregierung benimmt sich wie das Privatbüro von Milošević“, erklärte Montenegros Präsident Djukanović unlängst. Belgrad versuche mit allen Mitteln, sich in die inneren Angelegenheiten Montenegros einzumischen.

Die Situation in Montenegro spitzt sich zu. Unter Berufung auf das in der jugoslawischen Verfassung garantierte Landesrecht, das eine gleichberechtigte Vertretung der beiden Republiken in allen Bundesinstitutionen vorsieht, verabschiedete das montenegrinische Parlament noch vor dem orthodoxen Weihnachtsfest eine „Resolution über die Verletzung des Rechtssystems der Bundesrepublik Jugoslawien“. Den von Milošević kontrollierten Bundesinstitutionen wird vorgeworfen, den Präsidenten Montenegros, Milo Djukanović, nicht anzuerkennen, den bei den letzten Wahlen unterlegenen Momir Bulatović zu unterstützen und so Montenegro der Gefahr des Bürgerkrieges auszusetzen.

Bulatović-Anhänger verließen demonstrativ das Parlament, denn diese Resolution „erinnere an den Beschluß des slowenischen Parlaments von 1991, das Verfassungsgericht in Belgrad nicht mehr anzuerkennen“. Kurz darauf hatte der Bürgerkrieg begonnen.

Am 15. Januar soll Milo Djukanović als neuer Präsident den Eid vor dem montenegrinischen Parlament leisten. Für den gleichen Tag will Expräsident Bulatović zu Massendemonstrationen in der Hauptstadt Podgorica aufrufen. Er will sein Amt nicht Djukanović, sondern „dem Volk“ übergeben. Zur Unterstützung sollen schon jetzt in Serbien Anhänger geworben werden, die dann gratis nach Podgorica gefahren werden. Für alle Fälle sind aus den meisten Institutionen Montenegros, den Medien und staatlichen Betrieben Anhänger von Bulatović entlassen worden. Djukanović will Milošević jetzt mit dessen eigenen Methoden besiegen. Andrej Ivanji