Beleuchtung einer Kulissenstadt

■ Überarbeitet und erweitert: die Neuauflage von Michael Tötebergs „Filmstadt Hamburg“

Schnittig ist sie geworden, die Neuauflage von Michael Tötebergs „Filmstadt Hamburg“. Tuckerte der historische Kinoführer bei seiner ersten Veröffentlichung 1990 noch behäbig los, indem die Jubiläen von verschiedenen Lichtspielhäusern aufgelistet wurden, steigt er jetzt voll ins Geschehen ein. Da findet sich der Leser gleich in brandaktuellen und supersensationellen Action-Drehs wieder: James Bond war bekanntlich für sein letztes Abenteuer vor Ort, und da muß doch auch der letzte Ignorant erkannt haben, daß es sich bei Hamburg um eine veritable Weltstadt handelt, um eine vollwertige Filmmetropole.

Der Bürgermeister darf stolz sein, der Wirtschaftssenator kann sich die Hände reiben. Daß Hamburg in Der Morgen stirbt nie so piefig aussieht wie schon lange nicht mehr und die Verfolgungsjagden im internationalen Vergleich reichlich träge wirken, muß ja erstmal niemanden interessieren.

Keine Frage: In den Neunzigern hat sich einiges verändert in der hiesigen Kinolandschaft, und es ist nur legitim, daß Michael Töteberg in der überarbeiteten Version seiner sorgfältig recherchierten Studie darauf eingeht. Denn wer heutzutage über Film in dieser Stadt spricht, muß natürlich auch über polierte Beziehungskomödien und protzige Cinemaxx-Paläste sprechen – auch wenn das leicht mal wie eine Hymne auf den Wirtschaftsstandort Hamburg klingt.

Da spiegelt der Filmhistoriker den Lauf der Zeit wieder: Widmete er sich vor acht Jahren unter dem Titel „Die Förderungsschraube“noch ausführlich dem inzwischen modifizierten und beschnittenen Hamburger Filmförderungsmodell, stehen jetzt lukrative (nicht immer schlechte) Großproduktionen im Vordergrund. Kein Wort fällt über Vlado Kristls Publikumsbeleidigung Tod dem Zuschauer, dafür prangt ein Szenenfoto von Helmut Dietls Kassenschlager Schtonk auf dem Umschlag.

Aber die irgendwie dubiosen Neunziger machen natürlich nur einen kleinen Teil der von Töteberg ansonsten überwiegend kritisch und kompetent beleuchteten Kinogeschichte dieser Stadt aus. Von den ersten Zensurbestrebungen seitens übereifriger Pädagogen über die erste eigene Produktionsstätte der Stadt bis zum hiesigen Film-Underground der Siebziger rollt der Autor eine Geschichte des Kinos in Hamburg aus, die auch als Sittengemälde und als Kulturspiegel gelesen werden kann. Lediglich das jetzt in der Neuauflage halbherzig nachgereichte Kapitel zu dem Thema Drittes Reich ist ein bißchen bescheiden ausgefallen.

Vielleicht auch deshalb, weil in diesem Werk naturgemäß viel unter der Devise „Wußten Sie schon, daß...?“abgehandelt wird. Kurioses am laufenden Band: von den vielen Abenteuerstreifen der Vera-Filmwerke, die nach dem Ersten Weltkrieg vor der immer gleichen Kulisse an der Alsterkrugchaussee runtergekurbelt worden sind, bis zum Besuch des russischen Kino-Revolutionärs Sergej M. Eisenstein. Da gab es also schon mal einen Großen, der Hamburg kurzzeitig ins Interesse der Weltöffentlichkeit gerückt hat.

Christian Buß