Neuer Wall gegen Edelshops

Designer-Läden zerstören Hamburgs City. Einzelhandelsverband jammert, senkt Löhne und fordert Verkehr statt Bettler  ■ Von Florian Marten

„Wenn der letzte Mittelständler verschwunden ist, dann geht es mit dem Neuen Wall endgültig bergab.“Ulf Kalkmann, Chef des Fachverbandes des Hamburger Einzelhandels (FHE), kaut traurig auf seinem Brillenbügel. Der Grund: Die Mieten steigen, die Umsätze sinken, die Kunden bleiben weg, Mittelständler geben verzweifelt auf. Die Edel-Boutiquen der internationalen Luxusindustrie bedrohen Hamburgs Shopping-Edelmeilen Neuer Wall, Poststraße und Große Bleichen.

Der Mechanismus erscheint auf den ersten Blick absurd: Warum eröffnen die Global Players des „Premium Shopping“für überteuertes Geld schräg designte Läden, in die sich pro Tag allenfalls der eine oder andere Pelzmantel verirrt? „Diese Geschäfte“, weiß der Verbandsfunktionär und Schuhketten-Chef Ludwig Görtz, „werden unter Marketingaspekten eröffnet.“Als Schaufenster der Konzernprodukte müssen Läden in bester Hamburger Lage her – die Kasse klingelt dann woanders. Die internationale Beliebigkeit bedroht langfristig allerdings die Qualität dieser ersten Adressen: In gestylter Ödnis fühlen sich Konsumenten nicht wohl. Sie bleiben weg.

Weit mehr als diese Verwüstung der City beunruhigt die Funktionäre allerdings die allgemeine Lage. 1997 war ein schlechtes Jahr für die 10.000 Betriebe und 70.000 Beschäftigten im Hamburger Einzelhandel. 250 Läden gingen pleite und 1.500 Vollzeitarbeitsplätze verloren, der Umsatz stagnierte bei 18,3 Milliarden Mark – und 1998 soll es kaum besser werden.

Gar nichts brachte die längere Ladenöffnung. Ulf Kalkmann: „Es gab keinen Beschäftigungseffekt und keinen Umsatzeffekt, allenfalls eine Verlagerung.“Einkaufszentren und „1a-Lagen“legten zu, Kaufhäuser, Stadtteilzentren und normaler Einzelhandel verloren. Eine Trendwende ist nicht in Sicht. So nutzen nur 20 Prozent der Geschäfte die neuen Öffnungszeiten, vereinen damit aber schon rund 50 Prozent des Umsatzes auf sich.

Die Antwort des Einzelhandels ist schlicht: Lohnsenkung. Zum 1. Januar wechselten 10 von 19 Hamburger Einzelhandelsbranchen ihren Dachverband und sind somit bei neuen Arbeitsverträgen nicht mehr an die Tarifverträge gebunden. „Ein Einkommen von 3200 Mark brutto für eine Verkäuferin ist zwar nicht zum Totlachen“, räumt Kalkmann ein. Aber: „Muß die auch noch zwei freie Tage für einen Umzug bekommen?“

Das alleine reicht noch nicht. So glänzte der Verband gestern mit „unverzichtbaren Forderungen an den neuen Senat“wie etwa Kampf gegen Bettler und Kriminelle, keine Beschränkungen fürs Auto, keine Verkehrsberuhigung, keine höheren Parkgebühren, kein Tempo 30. Der FHE optimistisch: „Wir sind zuversichtlich, daß hierüber konstruktive Dialoge mit dem neuen Hamburger Senat zustandekommen.“