Identität, die Leere und das Reale

Ein seminaristisches Spiel über die Ästhetik des Zwangs: Das KOOP-Theater und „Void“, ein Stück über den Ordnungswahn des US-Exzentrikers Howard Hughes, im Theater am Halleschen Ufer  ■ Von Tobi Müller

Void: englisch für Nichts, die Leere, adjektivistisch nichtig oder leer. Frei nach dem Programmheft des KOOP-Theaters, wo Bühnenbildner Thilo Reuther erstmals auch die Regie übernimmt. Bisher- Regisseur Johannes Grebert richtete den Text ein. Eine wahrlich theatralische Figur haben Reuther/Grebert entdeckt, ein Überthema formalisierten, zeitgenössischen Theaters aufgegriffen: der amerikanische Tycoon Howard Hughes und sein übersteigerter Ordnungszwang. Neurotiker und Psychopathen fühlen sich ja erst auf der Bühne richtig wohl, da, wo Kontrolle, Wiederholung und Behauptung selbstverständlich sein dürften. Man freut sich über die gut gearbeitete, strenge Revue, über den herrlich versauten Armin Dallapiccola als Hughes, über die kühlen und wahrscheinlich ebenso versauten Tänzerinnen Kate (Sonja Baeger) und Helen (Christin Choo), ja überhaupt ist man entzückt über einen irgendwie schwer angesagten Gegenstand wie Konstruktion von Identität, um die Leere, das Reale oder sonstwie Unstrukturiertes zu verdecken.

Weniger angesagt ist die Eindeutigkeit, mit welcher einem dies zu verstehen gegeben wird. Das Nichts, mit dem an diesem Abend reichlich gespielt wird, ergibt sich nicht aus der Lücke von Verschwiegenem, sondern unter anderem aus einem allmählichen stofflichen, expliziten Overkill.

Der historische Multimilliardär Howard Hughes starb 1976 an Bord eines Flugzeugs, nachdem er die letzten 24 Jahre seines Lebens in einem Hotelzimmer in Las Vegas verbracht hatte. Umgeben von Mormonen soll Hughes ein superneurotisches Leben, geprägt von Kontrollsucht und peinlich genauen, ewig gleichen Abläufen geführt haben. Sein Tod in den Lüften als inszenierte Metapher der Überwindung des Körpers, der Transzendenz. Oder eine Lesart des Programms: „Die Obsession der Ordnung ist eine Obsession gegen die Obsession des Körpers. Es geht um den Ekel!“

Das Konzept eins zu eins auf der Bühne: Eine elektronische Soul- Schlaufe treibt (toller technoider Soundtrack von Robert Lippok), Helen und Kate geben eine ihrer zahlreichen Choreographien, auch Hughes tanzt und verkündet ekstatisch sein Programm in fernsehträchtiger Clubatmosphäre: „Verschmähe die Unterschiede... erzeuge Klarheit, Licht,... es ist eine Frage der Form und der Funktion, es geht um den Ekel.“ Nach dem Tanz der kalte Schweiß, das nackte Entsetzen des Neurotikers. „Ist ja alles ganz flüssig. Alles verflüssigt sich, sich verflüssigend... Stets in leicht variierter Syntax, dafür unentwegt dirigiert Hughes sich und sein Umfeld in ein Szenario, das, perfekt durchgestylt, vollkommen ästhetisch schimmert und in der Wiederholung das gleiche, Unterschiedslose, „sich Verflüssigende“ begehrt. Leise rauscht das Flugzeug, die ovale Filmleinwand, wo Hughes die immergleichen alten Filme guckte und sein Film-Jean anruft, zerteilt sich mit der Bühnenrückwand. Kate und Helen in blauen Ballkleidern vor Mikrophonen, säuselnd. Sie verschmelzen sich zu Jean. Howard wird doch noch zum Teil vom Ganzen, die geglückte Entgrenzung im Tod. „Das ist perfekt.“

Zu perfekt? Ein wenig seminaristisch bestimmt. Die Inszenierung als essayistische Revue. Vorwort und Inhaltsverzeichnis sagen, was Sache ist. Unterwegs gibt's eine aseptische Wichsszene ohne Hautkontakt und Versuche, die Zuschauer in das zwanghafte Spiel um Kontrolle/Macht/Sexualität einzubinden. Erst laufen wir über die bereits bestückte Bühne zu den Plätzen, später fragen uns Helen und Kate, ob sie dies oder das sollen. Ganz nett und freundlich. Einer antwortet, die anderen haben es längst gepeilt und schauen gelassen, wenn auch vergnügt zu.

Noch 13. bis 15.1., 21 Uhr, Theater am Halleschen Ufer (32)