Brecht-Jahr: Fut und grüne Bohnen Von Wiglaf Droste

1998 hat kaum begonnen, da ist es schon fast wieder voll: Brecht-Jahr heißt die Heimsuchung, und speziell Augsburg, die Geburtsstadt Brechts, ist nahezu täglich geschlagen mit dem, was der Dichter Robert Gernhardt einmal „Arschgesichter-Konferenz“ nannte: „Arschgesichter-Konferenz! / Alle sind erschienen! / Um dem Wohl des Arschgesichts / rückhaltlos zu dienen. / Arschgesichter-Konferenz! / Schon seit sieben Tagen / Diskutiert man freimütig / Arschgesichter-Fragen.“

Entsprechend tritt in Augsburg in Sachen Brecht der unvermeidliche Wolf Biermann ebenso an wie sein Sangesbruder Konstantin Wecker; auch Eva-Maria Hagen ist am Start, Nina Hagen nicht minder, letztere im Verein mit Meret Becker, und alle werden sie, wie auch Katja Ebstein, singen – während Ulla Hahn Gedichte vortragen wird, einige von Brecht und einige eigene. Für Lokalkolorit sorgt die ortsansässige „Gruppe WiderWort“ um Uta Fuchs-Prestele mit ihrem Programm „brecht flug platz(t)“.

Wir hören Robert Gernhardt: „Arschgesichter-Konferenz! / Wahl des Präsidenten! / Eintracht schüttet Gräben zu, / die bisher noch trennten.“ Stimmt genau: Das Brecht-Haus wird nach der Renovierung aus Landesmitteln als „nationale Gedenkstätte“ wiedereröffnet, und zum Festakt am 100. Geburtstag Brechts hat der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber sein Erscheinen und ein Grußwort versprochen. Ob sich Stoiber dazu Roman Herzogs Heine-Rede ausborgen und sich mit dem Lob auch „ätzender kritik“ anschmiegen wird? Und muß dann ein Schluck durchs Land gehen, so tief, daß man danach auch die Anbiedermänner erträgt? Oder bevorzugt Stoiber die Verse Gernhardts? „Arschgesichter- Konferenz! / Ausklang! Letzte Worte! / Prost! Und dann zerstreut man sich / in die Heimatorte. / Arschgesichter-Konferenz! / Bleibend stärkt das Eine: / Nun weiß jedes Arschgesicht – / es kämpft nicht alleine.“ Man weiß es noch nicht; gesichert ist nur, daß Robert Gernhardt im Mai den Brecht- Preis entgegennehmen wird.

So ächzt Augsburg unterm Joch des Brecht-Jahrs; nicht alle Augsburger aber ächzen mit. Franz Dobler, Schriftsteller und Besitzer einer Kinderkettensäge aus Plastik, hält den klüngeligen Laden auf Distanz und unter Beobachtung. „Irgendwann liegt ihr neben mir / im Graben / und ich werde nachsehen / ob ihr in euren Taschen irgendwas habt / was ich gebrauchen kann / und dann fahrt zur Hölle“, heißt es in einem von Doblers Westerngedichten. Und für den erst kürzlich nach Augsburg gezogenen März-Verleger und Chronisten des Kulturbetriebs, Jörg Schröder, ist das Brecht-Jahr ohnehin nur „Fut und grüne Bohnen“, also Nebbich.

In „Tun und Lassen“, der jüngsten Folge seiner Serie „Schröder erzählt“, findet sich das ganze menschliche Elend in schönen Sätzen wie diesem: „Meinen Einflüsterungen vom lukrativen Reisemobilgeschäft erlag hingegen Carola Lupazkoi, die eine schöne Summe aus dem Verkauf der Zahnarztpraxis erlöste, nachdem ihr Mann Sandor sich erhängt hatte.“ So etwas möchte man doch lesen – und Brecht, den Dieb der Gedanken anderer und den Dramatiker für die Unterprima, auch dieses Jahr den Hängebacken überlassen.