Versöhnliche Worte an den großen Satan

Irans Präsident Mohammad Chatami wendet sich über CNN an die US-Bevölkerung. Indirekt entschuldigt er sich für die Botschaftsbesetzung 1979 in Teheran. Politische Kontakte mit Washington bleiben jedoch tabu  ■ Von Thomas Dreger

Irans Staatspräsident stand die Anspannung ins Gesicht geschrieben. Als Mohammad Chatami (55) am Dienstag in seinem Teheraner Büro der CNN-Starkorrespondentin Christiane Amanpour ein Interview gab, war keine Spur des für ihn sonst typischen Lächelns zu erkennen. Kein Wunder, denn mit dem zur US-Prime-time am Mittwoch abend ausgestrahlten Gespräch wagte Chatami einen kleinen Schritt der Abkehr von den Grundsätzen der Islamischen Republik. Mit dem als „Adresse an das amerikanische Volk“ angekündigten Interview machte er die in der offiziellen iranischen Terminologie bisher als „großer Satan“ gescholtenen USA zum Gesprächspartner.

In einem 15minütigen Monolog pries Chatami zunächst die USA als „große Zivilisation“, deren heutige politische Führer sich auf das Erbe Abraham Lincolns besinnen sollten, denn: „Die Politik amerikanischer Politiker seit dem Zweiten Weltkrieg ist nicht kompatibel mit den Prinzipien amerikanischer Politik.“ Dann bot er einen sofortigen „Austausch von Professoren, Schriftstellern, Gelehrten, Künstlern, Journalisten und Touristen“ an. Bis auf die Regierungsebene wollte Chatami die Kontakte nicht anheben. Zweimal betonte er, Iran sehe „keine Notwendigkeit für politische Verbindungen zu den USA“. Genau das wird jedoch von der US-Regierung als Voraussetzung für Kontakte zwischen beiden Staaten gefordert.

Die diplomatischen Verbindungen zwischen dem Iran und den USA sind seit der Islamischen Revolution im Jahr 1979 und der anschließenden Erstürmung der US- Botschaft in Teheran unterbrochen. Vor allem Chatamis konservative Kontrahenten wollen, daß dies auch so bleibt. Am vergangenen Freitag hatte Irans Religiöser Führer, Ajatollah Ali Chamenei, eine Normalisierung des Verhältnisses zu den USA ausgeschlossen. Kurz darauf hatte die Chamenei nahestehende Zeitung Dschumhuri Islami Chatami gewarnt, bei dem Interview zu weit zu gehen.

Entsprechend bedacht formulierte Chatami seine Antworten, und entsprechend vorsichtig stellte die Halbiranerin Amanpour ihre Fragen. Bisweilen wirkte es, als wolle sie Irans Präsidenten goldene Brücken bauen. In allen Revolutionen habe es in der Frühphase Exzesse gegeben, leitete sie ihre Frage nach der Besetzung der US-Botschaft ein. Ob der Sturm auf die diplomatische Vertretung und die anschließende 444 Tage dauernde Geiselhaft von 52 US- Amerikanern auch in diese Kategorie falle, wollte Amanpur wissen. Chatami ließ sich auf dieses Angebot ein: „Ich weiß, daß die Gefühle des großen amerikanischen Volkes verletzt wurden, und ich bedauere das. In der Hitze revolutionärer Leidenschaft passieren Dinge, die nicht vollständig kontrolliert und nicht nach den üblichen Normen beurteilt werden können.“ Worte nahe an einer Entschuldigung, die besonders bemerkenswert sind, weil der Linksislamist Chatami den Botschaftsbesetzern ideologisch nahestand.

In anderen Punkten blieb Chatami der offiziellen iranischen Politik treu. Den USA warf er vor, 1953 den Staatsstreich gegen Irans damaligen Regenten Mohammad Mossadegh organisiert und später das Schahregime unterstützt zu haben. Seit der Islamischen Revolution versuche die US-Regierung, den Iran wirtschaftlich zu isolieren. Zuletzt habe der US-Kongreß 20 Millionen US-Dollar bereitgestellt, um Irans Führung zu stürzen.

Unversöhnlich zeigte sich Chatami gegenüber Israel. Die Regierung in Jerusalem sei ein „rassistisches, terroristisches Regime“. Der Präsident dementierte zwar, daß Iran militante Islamisten militärisch oder finanziell unterstützt, betonte jedoch die politische Nähe zu solchen Organisationen: „Menschen zu unterstützen, die für die Befreiung ihres Landes kämpfen, ist meiner Ansicht nach keine Unterstützung von Terrorismus.“

Die US-Regierung reagierte gestern zurückhaltend. Angelegenheiten zwischen beiden Regierungen sollten in „direkten Gesprächen“ verhandelt werden, erklärte James P. Rubin, Sprecher des Außenministeriums. Und: „Wir werden erst anhand von Handlungen beurteilen können, was von Bedeutung ist.“ Ein anderer Außenamtsvertreter ging weiter. Unter dem Siegel der Anonymität sagte er der Washington Post, er denke Chatamis Äußerungen seien „historisch“. Auf mögliche Reaktionen aus Washington angesprochen, sagte er: „Ich glaube, es gibt in dieser Stadt ein ausgeprägtes Interesse, sich vorwärts zu bewegen.“

Iranische Oppositionelle äußerten sich enttäuscht über Chatamis Erklärungen. „Er hat innerhalb des Rahmens gesprochen, den der Religiöse Führer und die Hardliner festgelegt haben“, sagte der in Paris lebende Expräsident Abol Hassan Banisadr. Es sei offensichtlich, daß Chatami „nicht so antworten konnte, wie er wollte“. Kommentar Seite 12