„Die Verantwortlichen sind schlicht Mörderbanden“

■ Werner Hoyer (FDP), Staatsminister im Auswärtigen Amt, zur neuen deutschen Algerien-Initiative

taz: Bundesaußenminister Kinkel möchte die EU-Troika nach Algier schicken, um der Regierung bei der Konfliktbewältigung behilflich zu sein. Was für Maßnahmen stellen Sie sich vor?

Werner Hoyer: Die Katastrophe ist so weit fortgeschritten, daß vor allem humanitäre Hilfe für die Opfer nötig ist. Gleichzeitig gilt es, wirtschaftliche, soziale und politische Perspektiven für die Menschen in einem Land zu schaffen, das von einer starken Frustration der Zivilgesellschaft gezeichnet ist. Hinzu kommt selbstverständlich die Zusammenarbeit in der Terrorismusbekämpfung.

Außenminister Attaf behauptet, die Algerier wüßten sehr wohl, wer wen tötet. Ist das für Sie nach drei Algerienreisen auch klar?

Die Verantwortlichen für die Massaker sind schlicht Mörderbanden. Sie werden von denjenigen benutzt, die mit einer Mischung religiös-fanatischer und politisch-fanatischer Ziele orientierungslose junge Menschen ansprechen. Über weitere Ziele mag man trefflich spekulieren. Aber wir verfügen über viel zuwenig Informationen aus dem wenig transparenten Land. Deshalb ist den Algeriern nur zu empfehlen, für ein höheres Maß an Offenheit und Information zu sorgen und so im Inland wie im Ausland Vertrauen aufzubauen. Ich möchte aber vermeiden, daß wir den Terroristen in die Hände spielen, indem wir der Eskalation des Terrors mit einer Antwort begegnen, die sich geradezu reflexartig gegen die Regierung richtet. Die Frage, die ich an die algerische Regierung stelle, ist, ob sie in der Lage ist, ihrer vornehmsten Pflicht nachzukommen, die Bürger und Bürgerinnen angemessen zu schützen.

Bestärkt ihre Politik der kleinen Schritte nicht die starre Haltung der algerischen Regierung?

Es ist wichtig, Vertrauen zu gewinnen. Und das erreichen wir nur, wenn wir beim Thema Terrorismus klar Täter und Opfer differenzieren. Gleichzeitig müssen wir die Kräfte stärken, die den Demokratisierungsprozeß vorantreiben und für Menschenrechte und rechtsstaatliche Verfahren eintreten.

Was halten Sie von einem Dialog zur nationalen Aussöhnung zwischen Regierung und allen politischen Kräften, einschließlich der Islamischen Heilsfront (FIS)?

Eine Öffnung der algerischen Regierung hin zur Zivilgesellschaft wäre ein großer Fortschritt. Bei einer solchen Politik gäbe es sicherlich keine Probleme mit denen, die ursprünglich aus der FIS kommen und eindeutig der Gewalt abgeschworen haben. Es tut mir immer wieder weh, wenn ich die überaus faszinierende intellektuelle Schicht und übrigens auch das erstaunlich pluralistische Parlament in Algerien betrachte und dann sehe, wie wenig sie von Regierungsseite eingebunden wird. Präsident Liamine Zéroual wäre sehr gut beraten, solche, dem Terrorismus weit entfernt stehende Menschen mit ins Boot zu nehmen.

Wäre wirtschaftlicher Druck auf die Regierung sinnvoll, um sie zu einer Öffnung zu bewegen? Deutschland ist Algeriens größter europäischer Erdölabnehmer.

Da bin ich sehr skeptisch, nicht nur weil Deutschland in Algerien, was Investitions- und Verkaufstätigkeiten angeht, bei weitem nicht so präsent ist, wie es wünschenswert wäre, gerade wenn es darum geht, im Norden des Landes wieder wirtschaftliche Perspektiven für die Menschen zu eröffnen. Geschweige denn, um Druck ausüben zu können.

Was, wenn die Flüchtlinge aus Westalgerien plötzlich um Einlaß in Europa bitten?

Genau um das zu verhindern, müssen wir schon bei den Ursachen der Flüchtlingswelle ansetzen. Wir müssen den Menschen durch die Unterstützung von regierungsunabhängigen Organisationen und anderen Hilfsorganisationen die Möglichkeit geben, im Land zu bleiben. Wenn sie erst einmal in den europäischen Häfen ankommen, ist es zu spät.

6.000 Algerier halten sich bereits jetzt in Deutschland auf? Wird es für sie einen Abschiebestopp geben?

Wir werden weiterhin an der Einzelfallprüfung festhalten. Die muß sehr umsichtig sein und flexibel. Aber: Wir können nicht 29 Millionen Algeriern in Deutschland einen sicheren Hafen anbieten. Ein genereller Abschiebestopp wäre ein Fehler. Die dadurch ausgelöste Wirkung stünde im groben Mißverhältnis zum humanitären Auftrag, dem man damit gerecht zu werden versuchte. Interview: Reiner Wandler