Arbeitslose im Regierungspalast

Vertreter der französischen Arbeitslosen wurden vom Regierungschef empfangen. Die großen Gewerkschaften sehen die Anerkennung der Bewegung ungern  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Die Arbeitslosen, die seit vier Wochen mit Besetzungen und Demonstrationen eine bessere staatliche Unterstützung und eine andere Arbeitsmarktpolitik verlangen, sind gestern über die Schwelle der Paläste der französischen Republik getreten. Am Nachmittag plädierte Staatspräsident Jacques Chirac für den Dialog mit ihnen „aus Ethik und aus Notwendigkeit“. Am Abend wollte Regierungschef Lionel Jospin vier Arbeitslosengruppen empfangen, um nach einem Ausweg aus dem Konflikt zu suchen.

Bereits am Vortag hatte der Aufsichtsrat der paritätisch besetzten Arbeitslosensenversicherung Unedic ein kleines Signal ausgestrahlt. Während vor den Toren des gläsernen Gebäudes eine Arbeitslosendemonstration stattfand, hatte Unedic zusätzliche Hilfsmittel in Höhe von 12 Millionen Francs (rund 3,6 Millionen Mark) für dieses Jahr bewilligt.

Die Arbeitslosenbewegung zeigte sich unbeeindruckt. Wie schon in den Tagen zuvor rechnete sie vor, daß die Sondermittel aus Töpfen der Unedic stammten, die im vergangenen Jahr, als die Arbeitslosigkeit um 10.000 Personen stieg, gestrichen wurden.

In Bordeaux hatten Arbeitslose am Mittwoch abend den örtlichen Handelskammervorsitzenden mehrere Stunden als Geisel genommen. Die Gespräche mit ihm gingen anschließend ebenso über französische Radiosender wie ein Telefongespräch mit dem Chef des Arbeitgeberverbandes CNPF, Ernest-Antoine de Seilliere, gegenüber dessen Sekretärin sich die anrufenden Arbeitslosen als Minister ausgegeben hatten. Unter anderem versicherte der als „Killer“ berüchtigte Patron am Telefon, die Arbeitgeber seien nicht für die Arbeitslosigkeit verantwortlich.

Als erste Besucherin empfing Premierminister Jospin gestern nachmittag die Chefin der sozialdemokratischen Gewerkschaft CFDT, Nicole Notat, die gegenwärtig auch der Arbeitslosenversicherung Unedic vorsteht. Notat hatte sich in den vergangenen Tagen gegen das von den Arbeitslosen geforderte garantierte Mindesteinkommen ausgesprochen und die Regierung davor gewarnt, die Arbeitslosen zu empfangen, weil die „manipuliert“ und „nicht repräsentativ“ seien. Wie Notat hatte auch der Chef der Gewerkschaft FO, der nach ihr empfangen wurde, gegen eine getrennte Interessenvertretung von Arbeitslosen plädiert.

Auf seiten der Gewerkschaften unterstützen lediglich die große kommunistennahe CGT und die kleine trotzkistennahe SUD die Arbeitslosenbewegung.

Im Anschluß an die Gewerkschaften standen gestern nachmittag Arbeitgeberverterter auf Jospins Besucherliste. Nachdem sie sich vor mehreren Tagen geweigert hatten, die Arbeitslosenversicherung für die 350.000 zusätzlichen und befristeten Beschäftigten in der Privatwirtschaft zu zahlen, wollte Jospin versuchen, sie eines Besseren zu belehren.