■ In Berlin starten junge Medienprofis aus der Türkei, Griechenland, Spanien und Portugal ein multikulturelles Fernsehproramm. Kulturen aller Länder vereinigt euch – auf dem Bildschirm Von Mirko Heinemann
: Fernsehen der Kulturen

Auf den Begriff Integration können sie sich alle einigen. Auch darauf, daß sie professionelles Fernsehen machen wollen. Finanzierung und Programminhalte werden aber noch heftig diskutiert. Anfang Februar geht es los.

Dezember 1997, Berlin-Prenzlauer Berg: In einer kleinen Wohnung im zweiten Hinterhof treffen zehn Personen zusammen, vier Frauen, sechs Männer. Sie gehören drei verschiedenen Kulturkreisen an, sind nach Deutschland eingewandert oder hier aufgewachsen. Sie haben unterschiedliche Staatsbürgerschaften, ihr Gespräch führen sie aber in deutsch. Sie haben ein Ziel: die Gründung eines Fördervereins zur Produktion eines multikulturellen Fernsehprogramms.

Weder handelt es sich um eine medienwirksame Aktion der Ausländerbeauftragten noch um den Versuch einer Partei, mit Immigrantenthemen Wahlkampf zu veranstalten. Das multinationale Treffen geschieht auf eigene Initiative. Die Anwesenden haben allerdings unterschiedliche Vorstellungen von dem zu schaffenden Programm. „Unsere einzige Basis ist leider der Begriff der Integration“, erklärt ihr Sprecher Mustafa Cokgüngör. Seit 1993 produziert er das türkisch-deutsche Magazin „Yol-TV“ im Offenen Kanal Berlin. Er mochte sich aber nicht dauerhaft auf die Zielgruppe „Türken in Berlin“ festlegen. Alexandra Garcia und Cesar Gonzales ging es ähnlich. Die Produzenten des spanisch-portugiesischen „Magazin de las dos“ kamen mit „Yol-TV“ zusammen und suchten weitere Partner. Die fanden sie in dem Fernsehteam des ehemaligen griechischen Fernsehmagazins „Hellas TV“. Die Grundlage einer multikulturellen Partnerschaft war geschaffen.

Seit über zehn Jahren etabliert sich in Berlin eine alternative Fernsehlandschaft, die in Deutschland ihresgleichen sucht. Als Mitte der achtziger Jahre das Kabelpilotprojekt in Berlin gestartet wurde, forderten die Medienwächter neben Kommerzprogrammen wie RTL und Sat.1 zum Ausgleich die Einrichtung lokaler Fernsehkanäle. Neben dem nichtkommerziellen Offenen Kanal entstanden die beiden kommerziellen Lokalwellen Spreekanal, gedacht für Programme kleiner Produktionsfirmen, und ein Internationaler Kanal für lokales Fernsehen in Fremdsprachen.

Unter den Bewerbern waren viele Immigranten, die einen alten Traum realisieren wollten: Fernsehen in ihrer Heimatsprache. Mit der erste dieser Anbieter war das Lokalfernsehen TD1. In einer Zeit, in der die Satellitenschüssel auf dem Dach noch keine Selbstverständlichkeit war, schaffte TD1 mit der Übernahme von Programmen aus der Türkei traumhafte Einschaltquoten bei der türkischen Bevölkerung Berlins.

In Berlin hergestellte Programmanteile wie Spielshows und lokale Nachrichten sorgten dafür, daß die Bedingungen des Kabelrates für die Vergabe der Sendezeit eingehalten wurden. Daneben etablierten sich andere fremdsprachliche Anbieter, fast ausnahmlos mit der semiprofessionellen S-VHS-Technologie hergestellt. Da werden traditionelle Hochzeiten von Freunden und Verwandten übertragen, endlose Gespräche mit starrer Kamera aufgezeichnet, Mitschnitte von privaten Festen gesendet. Die Kosten werden durch Werbung gedeckt. Vom türkischen Gemüsehändler bis zum russischen Samowarverkäufer leistet sich jeder, der etwas auf sich hält, einen Werbespot im lokalen Programm. Den Löwenanteil bildet allerdings in fast allen Magazinen aus den Herkunftsländern übernommenes Programm – schon der Kosten wegen.

Forderungen von Politikern nach einem multikulturellen Fernsehprogramm, ließen nicht lange auf sich warten. Es blieb aber bei Lippenbekenntnissen. Ohne Hoffnung auf finanzielle Rückendeckung sind die Projekte der fremdsprachlichen Fernsehanbieter dazu verdammt, ein teures Freizeitvergnügen zu bleiben. Allerdings eines, das wichtige kulturelle und soziale Aufgaben übernimmt. Die Programme bieten oft die einzige Möglichkeit, Ereignisse in der ethnischen Gruppe oder Gesprächsrunden in eigener Sprache zu verfolgen. Denn das Hauptmedium der Immigranten ist weder die Tageszeitung noch das Radio. Das Fernsehen erzielt die höchsten Reichweiten und kommt – in Ermangelung eines lokalen Programms – per Satellitenschüssel aus den Herkunftsländern ins Haus.

Die Macher von M3, wie das erste multikulturelle Fernsehen in Berlin vorerst heißen wird, sind eine Stufe weiter als die anderen Anbieter muttersprachlicher Programme. Die jungen Leute, die durchweg aus der Medienbranche kommen, sprechen nicht mehr von Rückschlägen, die sie erwarten – die kennen sie bereits. Anfang Februar 1998 wird es losgehen: Eine Stunde Programm täglich haben sie auf dem Spreekanal zugesprochen bekommen. Räumlichkeiten, Equipment und Know-how sind ausreichend vorhanden. Die ModeratorInnen sind bilingual. „Was wir wollen“, erläutert Cesar Gonzales, „ist nicht ein mehrsprachiges Programm im klassischen Sinn. Wir wollen in eine bestimmte Richtung: Irgendwann wollen wir Ausländer in Berlin alle eine gemeinsame Sprache finden.“ Er meint das in übertragenem Sinne. Die Sprache wird Deutsch sein. Mit Hilfe von Untertiteln und zweisprachiger Moderation soll der Spagat gelingen, eine möglichst weit gefaßte Zielgruppe anzusprechen: Nicht nur Immigranten der jeweiligen Kulturgruppe, sondern ein im wahrsten Sinne „multikulturelles Publikum“, darunter natürlich auch Deutsche.

Ein besonderer Schwerpunkt des Programms wird auf Jugendthemen gelegt. „Wie wollen wir die Jugendlichen aller Nationen erreichen“, fragt Mustafa Cokgüngör in die Runde, „wenn nicht in deutsch?“ Es wird Nachrichten aus den Herkunftsländern geben, Musiksendungen und Berichte. Die fünf Kulturen Deutsch, Türkisch, Griechisch, Spanisch und Portugiesisch, Übernahmeverträge mit Studios aus Ankara, Athen, Kuba und Südamerika garantieren eine Vielfalt, die den halben Erdball abdeckt.

Beonderes Augenmerk soll aber der „Situation der Immigranten hier“ gelten. Meldungen, Berichte und Reportagen aus Berlin sollen den Großteil des Programms ausmachen. In dem Punkt sind sich die Teilnehmer der Runde einig.

Am selben Tag noch wird die Satzung verabschiedet. Wenn die Werbekunden mitspielen und Fördergelder der Europäischen Union fließen, müßten sie finanziell erst einmal hinkommen. Von der deutschen „Ausländerpolitik“ sind sie enttäuscht. Iannis Xanthakis bringt die Stimmung im Raum auf den Punkt: „Wir warten nicht mehr auf die Politik. Wir machen das jetzt selbst.“s