Altern in Amerika – sexy or not

Besuch bei Border's Books, einer der großen Buchladenketten des Landes: „Haben sie eine Abteilung über Altern?“ „Ja, eine Treppe tiefer unter Psychologie.“ – Zwei Regale, vom Boden bis zur Decke, voll Bücher zum Thema Altern, außerdem zwei Reihen über das Sterben.

Handbücher über „Wie pflege ich meine alternden Eltern“ bis zu Ratgebern für die Jahre nach 50, 60, 70, 80; von Tricks, wie man sich möglichst früh in den Ruhestand versetzen läßt, bis zu Ratgebern, wie man das meiste an Rente rausholt; von den schönsten

Regionen für ein Leben als

Pensionär bis zu Ratgebern für den Umgang mit Falten, Depressionen oder Enkeln.

Der amerikanische Senat hat einen Ausschuß über das Altern eingerichtet, der seit 1995 gehalten ist, einen jährlichen Report herauszugeben. Der Bericht für 1996 ist gerade erschienen, zwei Bände und 922 Seiten stark und schon so gut wie vergriffen.

Die amerikanische Gerontologische Gesellschaft hat im Oktober in Cincinnati ihren 50. Jahreskongreß beendet, auf dem in 332 Arbeitssitzungen Arbeitspapiere vorgestellt wurden.

Das Bostoner Museum of Science bereitet eine interaktive Ausstellung über das Altern vor.

Auf der Suche nach Themen, die die Massen in die Ausstellungshallen treibt, wurden in den Bevölkerungszentren Boston, Chicago, Los Angeles Umfragen durchgeführt und Themen angeboten: Geschwindigkeit, Zauber, Bauen, Parks, Haustiere... Altern lag

mit Abstand vorne.

Nicht allen Alten geht es gut. Etwa ein Fünftel der alten Menschen in den Vereinigten Staaten ist arm oder leben dicht an der Armutsgrenze. Die armen Alten finden sich vor allem auf dem Land und in den Innenstädten. Auf dem Land ist ihr Schicksal von Isolation und dem Fehlen sozialer Einrichtungen wie Suppenküchen oder Seniorenzentren geprägt, in den verwahrlosten Innenstädten von der hohen Kriminalität, wegen der viele alte Menschen nicht mehr auf die Straße gehen. Wie nicht anders zu erwarten, ist die Armut ungleich über die Rassen und Völker verteilt. Am schlechtesten geht es alten Indianern, und unter den armen Alten finden sich überproportional viele Schwarze.

Zwei Altersprobleme sind amerikaspezifisch: Mögen Alte noch soviel Fitneß treiben, der Tag kommt, an dem er oder sie den Führerschein abgeben sollte. 1995 waren 24 Millionen Autofahrer über 75. Beim fast völligen Fehlen öffentlichen Nahverkehrs verlieren sie mit der Möglichkeit, selbst zu fahren, einen für Amerika fast konstitutiven Teil ihrer Freiheit. Während die Mehrzahl der Europäer in mehrgeschossigen Mietshäusern lebt, in die sich Fahrstühle einbauen lassen, leben Amerikaner mehrheitlich in meist eingeschossigen Einfamilienhäusern. Das schließt nicht das Treppensteigen, wohl aber die Benutzung eines Fahrstuhls aus.