Chance für Krawattenmuffel

Allzeit verfügbar, aber selten im Büro: Telearbeiter krempeln den Arbeitsmarkt um – mit Laptop, Modem und Handy  ■ Von Ilonka Boltze

Morgens, wenn sich seine Nachbarn im Stop-and-Go-Tempo durch den Berufsverkehr quälen, hat Frank-Dieter Milkert noch Zeit für ein gemütliches Frühstück mit seiner Familie. Erst dann beginnt er mit dem Job: Von seinem Arbeitszimmer aus telefoniert er mit Kollegen, verschickt E-Mails, organisiert eine Videokonferenz. Milkert arbeitet bei einem von rund 30 Hamburger Unternehmen, die offiziell Telearbeit anbieten.

Verbargen sich hinter solchen „Telearbeitern“früher meist Hausfrauen und RentnerInnen, die von zu Hause aus telefonischen Bestellservice leisteten, wird der Begriff inzwischen für diejenigen genutzt, die ihren Arbeitsplatz ausgelagert haben. Denn seitdem viele Tätigkeiten schnell und bequem auch über digitale Medien und Telekommunikation geregelt werden können, verschwimmen die Grenzen zwischen Wohn- und Arbeitsraum zusehends. Werkzeuge wie Laptop, Modem und Handy sind schließlich ortsungebunden. Über eine Million solcher „Telearbeiter“, die sich teilweise oder auch ganz aus dem Büro verabschiedet haben, gibt es bereits in der Europäischen Union, rund 150.000, so schätzt die Hamburger Wirtschaftsbehörde, sind es in Deutschland.

Es gibt verschiedene Gründe, warum Telearbeit interessant ist: Das Unternehmen spart Kosten, wenn es weniger Büroflächen anmieten muß und die Arbeit als freiberufliche Tätigkeit ohne Sozialabgaben deklarieren darf. Der Telearbeiter wiederum kann sich den Tag flexibel gestalten und Familie, Freizeit und Beruf besser vereinen.

Bevor Langschläfer und Krawattenmuffel jedoch begeistert ihre Chefs beknien, sollten sich beide Seiten gründlich informieren. „Telearbeit birgt neben vielen Vorteilen auch rechtliche Schwierigkeiten“, weiß Horst Naruga von der Hamburger Wirtschaftsbehörde. „Bleibt die Festanstellung bestehen, wer stellt dann die technischen Mittel, wie wird die Leistung gemessen und was passiert im Krankheitsfall? Das sind Fragen, die geklärt werden müssen.“Soziale Isolation, wenig spontaner Austausch und verminderte Aufstiegschancen sind mögliche Risiken für den Telearbeiter. Ihre geringe persönliche Bindung wiederum kann die Unternehmenskultur gefährden.

Frank-Dieter Milkert ist einer von vier Anteilseignern der Firma „Qualität und Dokument“, die EDV-Schulungen und -programmierungen anbietet. Alle vier sind Telearbeiter, das gemeinsame Büro ist für gelegentliche Meetings auf zwei Räume beschränkt. „Je nach Auftragslage beschäftigen wir weitere freie Mitarbeiter, so sind wir flexibel und halten die Fixkosten niedrig“, sagt Milkert. Eine Festanstellung kann das virtuelle Unternehmen jedoch noch nicht bieten. Anders beim Otto-Versand Hamburg. Dort wurden im Herbst 1997 rund 200 Freiberuflern, die von zu Hause aus Telefonservice leisteten, feste Verträge als Angestellte angeboten. Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ist für die Mitarbeiter genauso gesichert wie der Anspruch auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld.

Die Hamburger Wirtschaftsbehörde hat in Zusammenarbeit mit der Bundeswehruniversität einen Service entwickelt, der Arbeitnehmer und -geber über verschiedene Formen von Telearbeit sowie deren Anforderungen und Risiken aufklärt. Auf der städtischen Internetseite (http://www.hamburg.de) findet sich unter dem Link „Wirtschaft, Hafen und Verkehr“ein umfangreiches Informationsangebot mit Ansprechpartnern, Jobbörse und Diskussionsforum zum Thema.