Auf der Schattenseite

■ Aufgerauhte Gedichte: Albert Ostermaier rappt mit Bert Wrede

Oben auf der Bühne der Münchner Autor Albert Ostermaier. Expressiv liest er die Binnenreimketten seiner Gedichte und rhythmisiert sie mit verhaltenem Rap. Neben ihm arbeitet der gebürtige Potsdamer Bert Wrede daran, mit den Ton- und Geräuschteppichen seiner E-Gitarre Ostermaiers lyrische Wortreihen aufzurauhen. „fremdkörper hautnah“ heißt Ostermaiers neuer Gedichtband, in dem er das lyrische ABC der Liebesmetaphern durch ein neoromantisches Säurebad zieht. „dass zu lieben heisser ist als nicht/zu lieben kannst du vergessen/also schliess dein Herz an/die Fernheizung an & machs ihm/bequem in seiner nördlichen/haut...“ heißt es in „warmstart“. An anderer Stelle testet er Brecht-Töne an – „nur wer mein freund seine standpunkte/zu verhüten weiss hat politisch korrekt/erigiert...“ (maulkorb) –, um danach in eine Müller- Collage einzubiegen: „ob die geier ihm die Haut mit ihren/schnäbeln tatöwieren...“ (ödipus antigone- kommentar).

Ostermaier wendet die Wörter gegeneinander, um lakonische Roadmovies im Geiste der Beat generation zu inszenieren oder in dialektischen Volten der Utopie zu frönen, ein Autor sei auch heute nur inklusive gesellschaftspolitischer Haltung reizvoll. Drei Theaterstücke und zwei Gedichtbände haben dazu beigetragen, daß der 30jährige als einer der interessantesten Autoren seiner Generation gehandelt wird. Der Avantgarde- Jazzer Bert Wrede komponiert normalerweise für sein Quintett Frigg und mixt das Ganze schon mal in Elliot Sharps New Yorker Studio. Im Duo mit Ostermaier ist schwer auszumachen, wer von beiden Rhythmus, Interpunktion und Beat vorgibt; es hört sich eher so an, als seien beide Klangkörper mit einem elastischen Band verbunden und katapultierten sich gegenseitig durch den lyrischen Raum zum Zwecke der Inszenierung melancholisch-sarkastischer Abschiede. Man erinnere sich: Da ist das Rollfeld, und der Nebel wallt; nach der Trennung glimmt die Zigarette im Mundwinkel des Helden, der zufällig Humphrey heißt, aber natürlich nie so sprechen würde, wie der da oben liest: wie ein Rapper eben, der seine Binnenreimdynamik allerdings nie einer Alliterationsdiktatur unterwirft.

In „roadmovie“ läßt Ostermaier einen Mann „seinen Weg“ gehen und setzt sich bewußt dem Verdacht aus, das verbrauchte Bild vom Lonesome Rider zu repetieren, um dann dem Abgestandenen lyrischen Mehrwert mitzugeben. Also wird der Weg „mit sand in den/augen doch mit schnee/in den schuhen zum/ende“ gegangen, liest Ostermaier seine Vexierspiele auf die Atempause zur Versgrenze hin, um gerade dort – wo Lyrik traditionellerweise sowieso schon mit Bedeutung aufgeladen ist – sprechend vorzuführen, wie Bedeutungen sich verkehren können.

In den Pausen lauern verhalten Wredes Elektronik-Koloraturen, als wollten auch sie den folgenden Vers zum Abheben bringen, bevor er ausgesprochen wird. Natürlich stehen die zwei immer noch mit beiden Beinen auf der Bühne, verschafft Ostermaier sich mit der Lesung seiner Gedichte den nicht zu unterschätzenden Vorteil, tiefsitzendes Leseverhalten von Lyrikkonsumenten auszuhebeln. Daß man zumeist nur die Gedichte auf der rechten Sonnenseite von Lyrikbänden liest, zum Beispiel, und die im linken Schatten zumeist übersieht. Wäre mal eine Variante, würden alle Lyriker nur linkseitige Gedichte zum besten geben. Bei Ostermaier würde ein lefthanded Rap daraus. Jürgen Berger

Albert Ostermaier: „fremdkörper hautnah“. Gedichte. Suhrkamp Verlag. 99 Seiten. 14,80 DM

Die nächsten Auftritte: 10.1. Oper Frankfurt; 23.1. Deutsches Theater Berlin; 25.1. Theater Hannover; 8.2. Brecht-Matinee im Frankfurter Schauspielhaus, 5.–8.3. Berlin, Freies Schauspiel, Pflügerstraße; 15.3. Literaturtage Ingolstadt; 14.6. Alte Feuerwache Mannheim