Ministermission hinter Belfaster Gefängnismauern

■ Großbritanniens Nordirlandministerin trifft sich mit loyalistischen Gefangenen. Dadurch soll der Friedensprozeß gerettet werden. Am Montag gehen die Mehrparteiengespräche weiter

Dublin (taz) – Es war eine Abordnung wie aus dem Gruselkabinett, die gestern von der britischen Nordirlandministerin Marjorie Mowlam im Gefangenenlager Long Kesh bei Belfast besucht wurde. Mit einem verzweifelten Versuch, den nordirischen Friedensprozeß zu retten, sprach Mowlam mit fünf Gefangenen der loyalistischen Ulster Defence Association (UDA) und ihrer Tarnorganisation Ulster Freedom Fighters (UFF), die wegen zahlreicher Morde und Bombenanschläge zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt worden sind.

Die Gefangenen hatten Anfang der Woche den Mehrparteiengesprächen, die am Montag wieder aufgenommen werden, eine Absage erteilt. Da ihr Wort auf beiden Seiten des Konflikts schwer wiegt, hätte der politische UDA-Flügel, die Ulster Democratic Party (UDP), den Platz am Runden Tisch räumen müssen. Das, so befürchtete London, wäre der Anfang vom Ende des Friedensprozesses.

Ob es Mowlam gelungen ist, die Gefangenen umzustimmen, stand bis Redaktionsschluß nicht fest. Allerdings wurde ihre Visite bei der UDA mit Wohlwollen aufgenommen. Sie sei eine fähige Politikerin und habe mehr Mumm als alle anderen Minister zusammen, hatte der sechsfache Mörder Michael Stone gesagt. Und Sam McCrory, der Sprecher der UDA- Delegation, betonte vor dem Treffen, daß noch nichts entschieden sei. „Wir haben dagegen gestimmt, daß die UDP am Runden Tisch bleibt“, sagte er. „Aber das kann sich ändern. Wir finden, es ist ein mutiger Schritt, mit uns zu sprechen. Wir wissen, daß wir nur durch Dialog vorankommen, aber wir verlangen dabei Fairneß.“

Die UDA moniert, daß die irische Regierung vor Weihnachten eine Reihe von IRA-Gefangenen freigelassen hat, während die britische Regierung eine entsprechende Maßnahme für die loyalistischen Gefangenen ablehnte. Die andere loyalistische Organisation, die Ulster Volunteer Force (UVF), erklärte gestern, daß ihr politischer Flügel, die Progressive Unionist Party (PUP), am Runden Tisch bleiben soll. Die Splittergruppe Loyalist Volunteer Force (LVF), die keinen Waffenstillstand eingegangen ist, hatte ihre eigene Botschaft an Mowlam: Sie schickte ein Foto aus dem Gefängnis, auf dem fünf maskierte Gefangene mit Spielzeugpistolen vor dem LVF- Wappen abgebildet sind.

Bei den unionistischen Parteien herrschte Skepsis über Mowlams Strategie. William Ross von der Ulster Unionist Party verurteilte Mowlam in einem Atemzug mit seinem eigenen Parteichef David Trimble, der die Gefangenen Anfang der Woche besucht hatte. Peter Robinson von Pfarrer Ian Paisleys Democratic Unionist Party, die an den Mehrparteiengesprächen nicht teilnimmt, bezeichnete die Ministerin als „verrückt“. Und eine Belfaster Friedensgruppe erklärte: „Wer die Macht hat zu töten, hat eine lautere Stimme als die Opfer. Weiß sie nichts von den Strafaktionen und Erschießungen, die nach wie vor von der UDA und UFF begangen werden?“ Am Vorabend von Mowlams Besuch waren fünf Männer verhaftet worden, die für den Mord an einem Katholiken am Silvesterabend verantwortlich sein sollen. Alle haben Verbindungen zur UDA. Darüber hinaus verdichteten sich Indizien, daß der Mordauftrag aus dem Gefängnis kam – von den fünf, die Mowlam gestern besuchte. Ralf Sotschek