Familienfeier mit unhöflichen Gästen

Ohne Rücksicht auf freundschaftliche Verhältnisse versperren die Green Bay Packers den San Francisco 49ers den Weg in die Super Bowl des American Football  ■ Von Matti Lieske

Berlin (taz) – Viel war vor dem Halbfinale der National Football League (NFL), in dem die Titelverteidiger von den Green Bay Packers am Sonntag bei den San Francisco 49ers anzutreten hatten, die Rede von den fast familiären Beziehungen zwischen beiden Teams. Auf dem Feld stellte sich dann sehr schnell heraus, wer die armen Verwandten waren. Die 49ers hatten dem völlig ohne Gastgeschenke angereisten Besuch aus Wisconsin kaum etwas entgegenzusetzen, und Green Bay zog durch einen 23:10-Erfolg in die Super Bowl am 25. Januar in San Diego gegen die Denver Broncos ein.

Packers-Chefcoach Mike Holmgren, der auf dem College 49ers-Quarterback Steve Young betreut hatte, selbst in San Francisco geboren ist und Assistenztrainer beim letzten Super-Bowl-Gewinn der 49ers vor drei Jahren war, bewies erneut, daß er damals gut aufgepaßt hat. „Frustrierend ist“, sagte 49ers-Linebacker Gary Plummer, „daß es sich bei den Dingen, mit denen sie so effektiv waren, um Sachen handelte, an denen wir gearbeitet haben.“ Den Packers waren solche Charakterisierungen recht. „Wenn sie uns eine andere Version der Niners-Offensive nennen wollen, okay“, meinte Receiver Antonio Freeman, „aber wir haben auch eine großartige Defensive, und ich glaube, das ist der Unterschied.“

In der Tat. Auf der anderen Seite hatte die Intimkenntnis der gegnerischen Mannschaft nämlich kaum einen Effekt. „Green Bay hat nichts gemacht, was wir nicht erwartet haben“, sagte Cornerback Rod Woodson, „aber wir konnten nichts dagegen tun.“ Steve Mariucci, seit einem Jahr Chefcoach in San Francisco, war zuvor bei den Packers tätig gewesen und hatte sich vor allem um Quarterback Brett Favre gekümmert, mit dem er sogar im selben Block wohnte und eine enge Freundschaft pflegte. „Er macht viele große Sachen, aber auch viele Fehler“, hatte Mariucci vorher auf kleine Mißerfolge in seiner Lehrtätigkeit beim unberechenbaren Ex- Zögling gehofft, doch am Sonntag spielt Favre absolut solide. Selbst der Ball, den er absichtlich ins Aus warf, was Zornesfalten bei Holmgren, eine 14-Yard-Strafe und das Ende des Drive nach sich zog, war eher als Fortschritt zu bewerten. Früher hätte der 28jährige in schwerbedrängter Situation versucht, einen waghalsigen Paß zu werfen und wahrscheinlich ein Abfangen des Balles ermöglicht.

Wie gefährlich eine solche Interception ist, bekam Steve Young zu spüren, als Eugene Robinson seinen Paß im ersten Viertel kurz vor der Endzone der Packers abfing, mit dem Ball davonschoß und schnurstracks zum Touchdown gerannt wäre, wenn ihm auf dem durch Dauerregen matschigen Boden nicht die Beine schwer geworden und er ins Straucheln geraten wäre. Schadete aber nichts, denn schon im nächsten Spielzug machte Favre mit einem kurzen Paß zu Freeman den Touchdown zum 10:0 perfekt. Das war jene frühe Führung, welche die Packers unbedingt haben wollten, da sie wußten, daß es den 49ers auf dem sumpfigen Boden äußerst schwerfallen würde, diesen Rückstand wettzumachen.

Den Ausschlag gab neben der überlegenen Defense der Packers das schlechte Laufspiel der Gastgeber. Ihr Running Back Garrison Hearst schaffte bloß 12 Yards Raumgewinn, insgesamt kamen sie nicht über 33 erlaufene Yards hinaus. Auf der anderen Seite brachte es allein Dorsey Levens auf 114 Yards, inklusive eines Touchdowns im letzten Viertel. Während Favre sein Team durch eine ausbalancierte Offense mit Läufen, kurzen und langen Pässen immer wieder gefährlich an die Endzone der 49ers brachte, wurde San Francisco ständig weit zurückgeworfen und suchte den Erfolg vor allem durch Youngs lange Pässe. Eine Methode, die in den Zeiten Joe Montanas noch für Triumphe gesorgt hatte, inzwischen in der NFL aber ähnlich antiquiert ist wie Günter Netzers 40-Meter-Pässe in der Bundesliga. „Man kann ein Team nicht mit Pässen schlagen, denn wenn man es oft genug versucht, erwischt man den Quarterback“, meint Packer Eugene Robinson. Viermal wurde Steve Young von den gewandten Abwehrmonstern der Packers umgerissen, und es ist kein Wunder, daß er sich am Ende der Saison „wie ein Zugwrack“ vorkommt. Zum dritten Mal hintereinander scheiterte er mit seinem Team im Play- off an den Green Bay Packers, und der Super-Bowl-Gewinn von 1995 wird wohl der einzige für den mittlerweile 36jährigen Abkömmling des Obermormonen Brigham Young bleiben. Gedanken an Rücktritt wies der Joe-Montana- Nachfolger aber zurück: „Ich will verdammt sein, wenn wir diesen Weg nicht noch mal gehen. Das ist der Grund dafür, daß man spielt – in einem solchen Match zu sein.“

Für die Green Bay Packers steht noch ein weiteres Match aus, in dem die Titelverteidiger klare Favoriten sind. Vorsicht ist jedoch geboten, denn in der Super Bowl bekommen es die Packers erneut mit einem renommierten und erfahrenen Quarterback zu tun: Denvers John Elway, der schon dreimal im Finale stand und jedesmal verlor. „Ich bin nicht einfach nur glücklich darüber, dorthin zurückzukehren“, sagte der 37jährige nach seiner starken Leistung beim 24:21 gegen die Pittsburgh Steelers. „Ich war schon da. Ich will das Ding gewinnen.“