Massaker nach dem Fastenbrechen

Vermutlich militante Islamisten überfallen einen Festsaal in einem Vorort von Algier. Bis zu 250 Menschen sollen dabei getötet worden sein. Die algerische Staatsführung hatte zuvor behauptet, die Region sei sicher  ■ Von Reiner Wandler

Madrid (taz) – Der Plan war teuflisch ausgeheckt. Um die hundert Mann, vermutlich Mitglieder eines Kommandos der radikalen Bewaffneten Islamischen Gruppen (GIA), umstellten am Sonntag abend kurz nach Sonnenuntergang den Festsaal des Ortes Sidi Hamad, 20 Kilometer außerhalb von Algeriens Hauptstadt Algier. In dem Saal hatte sich ein Großteil der Bevölkerung der armen Landarbeitersiedlung versammelt. Nach einem üppigen Abendessen zu Hause, mit dem wie jeden Abend im Ramadan das Fasten gebrochen wurde, wollten die Menschen bei einer Filmvorführung gemeinsam das Ende des vierzehnten Tags des Fastenmonats feiern. Plötzlich riß ein junger Mann die Tür auf. Eine Plastiktüte flog zwischen die Stuhlreihen. Eine Explosion – Panik. Alles drängte zum Ausgang. Dort liefen die Männer, Frauen und Kinder direkt ihren Mördern in die Hände. Mit Äxten, Messern und Säbeln machten sich die Angreifer über die Flüchtenden her.

Die später eintreffenden Rettungsmannschaften waren völlig überfordert. Bis in die frühen Morgenstunden leisteten Sanitäter aus den umliegenden Krankenhäusern in Smirli, Mustafa und Algier verzweifelt Erste Hilfe und überführten die Verletzten in die Intensivstationen. Selbst in den Gängen seien Notbetten aufgestellt worden, berichtete die örtliche Presse.

Die Lage war bis gestern noch völlig unübersichtlich. Während die Zeitungen der Hauptstadt in ihrer Morgenausgabe noch von 30 bis 50 Toten und über hundert teils Schwerverletzte schrieben, schätzten Bedienstete verschiedener Hospitäler die Zahl der Todesopfer auf bis zu 250. Nach mehreren Wochen vermeintlicher Ruhe ist mit dem Massaker von Sidi Hamad die Mitiya-Ebene vor den Toren Algiers wieder ins Visier des Terrors geraten. Keiner der Überfälle seit Beginn des Ramadan am 31. Dezember, bei denen mittlerweile über 1.000 Menschen ihr Leben verloren, hat die von der algerischen Regierung verbreitete These der „Restgewalt“ so ad absurdum geführt wie die Terroraktion vom Sonntag. Wieder traf es die Banlieue, wo sich unzählige Polizei- und Armeekasernen befinden, um die Hauptstadt abzuschirmen. Wieder griff niemand ein, und wieder traf es die Ärmsten der Armen.

Die Mitiya ist weit davon entfernt, befriedet zu sein, wie das Verteidigungsministerium im vergangenen Herbst behauptete. Nach mehreren Massakern hatte die Armee wochenlang den Ort Ouled Allel bombardiert, um schließlich das Dorf, mit Panzern und Flammenwerfern ausgerüstet, einzunehmen. Nach der Vertreibung der Bevölkerung 1995 hatte dort die GIA ihr Hauptquartier eingerichtet. Die Armee führte stolz die bei der Einnahme zerstörter Tunnelsysteme und Bunker vor. Die Gegend sei nun sicher, hieß es. Flüchtlinge wurden animiert zurückzukehren. Der Traum von der zurückgewonnen Sicherheit ist am Sonntag blutig zerplatzt.