Demokratische Struktur, aber zuwenig Geld

■ Das Paradox von amnesty: Das seriöse Renommee wirkt sich auf die Bilanzen fatal aus

Berlin (taz) – Ein edleres Spendensiegel ist kaum denkbar. Seit die Menschenrechtsorganisation amnesty international (ai) 1977 den Friedensnobelpreis erhielt, gilt sie wohltätigen Geldgebern als die institutionalisierte Integrität. Doch ausgerechnet die Seriosität ihrer Arbeit hat der deutschen Sektion von ai jetzt einen Spendenrückgang beschert.

1997 nahm die Organisation in Deutschland 500.000 Mark weniger an Einzelspenden ein, als sie für ihre laufende Arbeit benötigt, bestätigte ai-Generalsekretär Volkmar Deile gegenüber der taz. Der Fehlbetrag konnte bisher nicht ausgeglichen werden und belastet jetzt den Haushalt für 1998. „Wir gelten bei vielen Leuten als etabliert, manche denken sogar, wir seien eine Unterabteilung der UNO und daher nicht auf private Zuwendungen angewiesen“, erklärt sich Deile die gesunkene Spendenbereitschaft.

Da gemeinnützige Organisationen zunehmend miteinander um Spendengelder konkurrieren, ist auch der Kampf um die Aufmerksamkeit der Medien schärfer geworden. Amnesty sieht sich dabei im Hintertreffen gegenüber Organisationen, die vorschnell und mit zum Teil überhöhten Opferzahlen an die Öffentlichkeit drängen. „Natürlich ist der Drang zu hohen Zahlen ausgeprägt“, kommentierte der Generalsekretär den Wettlauf um Schlagzeilen. Amnesty habe sich dieser Tendenz stets verweigert. So konnte ai zu Beginn des Konflikts im früheren Jugoslawien erst mit Verzögerung reagieren. „Aber dafür haben wir nicht Zahlen von 150.000 Vergewaltigungen an die Öffentlichkeit gegeben.“ Spätere, seriöse Schätzungen gingen Deile zufolge von 10.000 bis 15.000 Opfern aus. „Sorgfalt hat einen Nachteil: Sie macht langsamer“, räumte der Generalsekretär ein.

Im Vergleich zu Organisationen wie Greenpeace nehmen sich viele Aktionsformen von amnesty eher traditionell aus: Infostände, Brief- und Anzeigenkampagnen. Medienwirksameren Auftritten steht Deile jedoch skeptisch gegenüber: „Politische Gefangene sind keine Ölbohrinsel.“ Oberstes Ziel müsse stets der Schutz der meist wehrlosen Häftlinge sein, deren Risiko nicht weiter erhöht werden dürfe. Spektakulärere Aktionen hält der Generalsekretär im Fall von Völkermord für gerechtfertigt.

Die zunehmende Professionalisierung von Menschenrechtsarbeit birgt nach Deiles Überzeugung die Gefahr der Kommerzialisierung. „Wir dürfen dem Druck nicht nachgeben, Länder, die auf dem Spendenmarkt nicht aktuell nachgefragt sind, links liegenzulassen.“

Ein Problem seiner Organisation sieht Deile in einer Tendenz zur Schwerfälligkeit. Mit 570 lokalen Gruppen in der Bundesrepublik sei ai nicht immer so flexibel wie zentralistisch gesteuerte Organisationen, gab der Generalsekretär zu. „Unser Unterschied zu Greenpeace ist, daß wir eine demokratische Organisation sind.“ Patrik Schwarz