Sinfonische Riesenschlange

■ Zum ersten Mal in Bremen: Günter Neuhold dirigiert im 6. Philharmonischen Konzert Anton Bruckners siebente Sinfonie / Zweites Stück des Abends: Wolfgang Amadeus Mozarts Klavierkonzert in d-moll

Obwohl die Spannung darauf, wie Günter Neuhold sich Anton Bruckner nähern würde, groß war, bestand doch über eines kein Zweifel: daß diese Musik ihm außerordentlich liegen würde. Für seinen ersten Bruckner in dieser Stadt wählte er die populärste und meistgespielte Sinfonie des österreichischen Meisters, jenes Werk, das bei der Uraufführung 1884 in Leipzig einen über 15minütigen Beifall veranlaßte. Das ist insofern noch heute bemerkenswert, als Anton Bruckner es im Grunde gewohnt war, daß das Publikum in Wien während seiner Aufführungen gleich scharenweise den Raum verließ.

Nun also seine siebente Sinfonie in E-Dur im 6. Philharmonischen Konzert, ein siebzigminütiger Koloß, an der der Komponist – sieht man vom berühmten, später hinzugefügten Beckenschlag im zweiten Satz ab – im Unterschied zu den meisten anderen Sinfonien, für die ein uferloses Fassungswirrwar bezeichnend ist, nichts Substantielles mehr geändert hat. Die Wiedergabe ist allein wegen der Länge eine enorme Herausforderung für die InterpretInnen und ZuhörerInnen. Das mag einer der Gründe sein, daß man Bruckner so selten hört. Umso dankbarer ist man daher für jede live-Aufführung, die so gelingt wie diese. Günter Neuhold macht etwas durch und durch Überzeugendes, was zu Recht mit Ovationen bedacht wurde: Er verzichtete auf einen interpretatorischen Überbau und ließ das Stück geradezu aus sich heraus wachsen, glättete nicht, sondern stellte die felsartigen Blöcke abrupt nebeneinander, nicht unähnlich den Registerwechseln der Orgel. Dabei ließ er sich nicht von der „schönen“Melodik dieser Sinfonie verführen, sondern meißelte spannungsvoll an Mittelstimmen und Klangfarben, und lieferte vor allem eine überragende Interpretation der endlosen Steigerung am Ende des ersten Satzes – eines der schwersten Probleme bei der Wiedergabe der Brucknerschen Sinfonik. Neuholds ebenso souveräner wie ruhiger Atem für die urige Maßlosigkeit dieses Komponierens ging auf: Das Werk provoziert bis heute. Unvergessen ist das Wort des Uraufführungskritikers Hanslick, der meinte, es handele sich um „einen wüsten Traum eines durch zwanzig Tristan-Proben überreizten Orchestermusikers.“

Es hätte kein zweites Stück zu dieser „sinfonischen Riesenschlange“, wie einmal ein prominenter Mensch gesagt hat, gebraucht. Und ein so bedeutendes Werk wie Mozarts Klavierkonzert in d-moll, KV 466, ist nicht der richtige Kontrast zu Bruckner, weil in diesem Kontext die Struktur Mozarts eher verspielt klassizistisch wirkt, was sie ja keinesfalls ist. Genau dieses dunkle und wilde Werk war eines der Vorbilder für die Romantiker. Die beiläufige Interpretation litt etwas unter der Vorspannung auf das andere Werk, das deutlich Priorität hatte. Geste und Artikulation hätten deutlicher sein dürfen. Trotzdem gelang insgesamt, nachdem sowohl Pianist als auch Dirigent einen farblosen Anfang überwunden hatten, eine quirlige und transparente Wiedergabe. Der Pianist Christoph Berner ist – in Bezug auf Klangfarbe, Artikulation – nicht eben ein Mozartspezialist, machte seine Sache zufriedenstellend und erntete dafür vom Publikum begeisterten Beifall.

Ute Schalz-Laurenze