Marmor Stein und Eisen Brecht
: Unbedingt die Johanna machen

■ Eine Wortmeldung zum 100. Geburtstag

„Es ist schön, daß Sie wieder Brecht spielen“, sagte die alte Dame und zuppelte mich an meinem Arm, „da kommen wir wieder mehr ins Theater.“

Die Begegnung hatte etwas Konspiratives und erinnerte mich an meinen alten Deutschlehrer Hans-Dieter Göbel. „Wir lesen heute Brecht“, hauchte er zu Beginn der Stunde, und wir wußten, daß es etwas Verbotenes an sich hatte, die Liebesgedichte und auch das „Lob des Kommunismus“. „Ich bin keine Kommunistin“, distanzierte sich die Alte, „wer aus dem Eichsfeld kommt, der ist katholisch, und deshalb müssen sie unbedingt die ,Heilige Johanna‘ machen, die gehört hierher, die haben doch auch in Nordhausen den Schlachthof dichtgemacht.“

Ja, wie gerne hätte ich die Johanna gemacht. Ich lag Peter Palitzsch in den Ohren, aber am Berliner Ensemble dominierten seit 1993 die Karriereristen, und was scherte die schon das Milieu einer aussterbenden Klasse. Armin Petras entdeckte keine so rechte Liebe zu dem Stoff, und ich selbst hatte zuwenig Zutrauen zu mir selbst. Aber Bischofferode ist hier gleich um die Ecke, und 20 Prozent Arbeitslose gibt es in Nordthüringen.

Ich weiß, das ist ein politisches Argument und noch lange keine ästhetische Lösung. Wenn man heute die Johanna inszeniert, dann können die Strohhütten nur eine tänzerische Lösung haben, und für die Fleischarbeiter braucht es eine Gruppe franziskanischer Mönche. Der Rest wäre eine große Improvisationsarbeit, für die es einen Horst Hawemann braucht. Keine Angst vor Agitprop, der Stoff ist rein katholisch, wie die alte Damen in meinem Theater und mein alter Deutschlehrer. In den Akten des Inquisitionsprozesses vom Mai 1431 liest sich: Auf die Frage ihres Richters, ob mit der Stimme, die sie hörte, auch ein Licht erschienen sei, antwortete Johanna: „Sicher, es war ein Licht, überall. So ziemt es sich auch. Das ganze Licht ist nicht für euch allein da.“

Jetzt macht der Brecht-Schüler Benno Besson die Johanna in Zürich, mitten im Zentrum des Geldes, die brauchen auch das Licht, und bei uns gehen langsam die Lichter aus. Christoph Nix

Intendant des Theaters Nordhausen, das weiterhin von Kürzungen bedroht ist