Hoppende Sphinx

■ Katharina Sieverdings Fotografien scheren aus der Kette der Reproduzierbarkeit aus. In der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf ist eine umfangreiche Werkschau zu sehen

Zwanzigmal Sieverding blicken auf zwanzigmal Sieverding. Auf der einen Seite eine Serie identischer weiblicher Gesichtsoberflächen von 1969, durch starken Kontrast ganz auf knallschwarzen Kußmund, Augen und Locken auf weißem Grund reduziert, eine ernst dreinblickende Hommage an Warhol. Ihnen gegenüber in der großen Halle des Düsseldorfer Kunstmuseums leuchten mit Goldstaub überzogene Gesichter: „Die Sonne um Mitternacht schauen“ ist der Titel dieser Serie von 1973. Die Züge der Goldladies sind unbewegt und von einer geradezu kosmischen Gelassenheit; perfekte Projektionsflächen. Mühelos beherrschen die monumentalen Fotos den Raum.

Das eigene Gesicht war lange Jahre das bevorzugte Motiv von Katharina Sieverding. Fläche, Augen, Mund: Sie dienen als ästhetisches Rohmaterial zur Erforschung von Identität generell. Auch für ihren recht spektakulären „Stauffenberg-Block“ von 1969 benutzte sie ihr eigenes Foto, geschossen im Paßbildautomat. Die in intensiven Rottönen sich auflösenden Konturen des Gesichtes, wie von Röntgenstrahlung durchleuchtet, sollten in der Kombination mit dem Namen des Hitler-Attentäters die Frage nach der Verantwortung des einzelnen aufwerfen – und wirken vor allem als ästhetische Visionen einer Suche nach dem Ich.

Die aus den Selbstporträts entstandenen Bilder bilden die souveränen Eckpunkte der Ausstellung in Düsseldorf, die von der Künstlerin selbst konzipiert wurde. Zum erstenmal sind Werke aus allen wichtigen Werkzyklen seit den 60er Jahren zu sehen – keine Retrospektive, dazu sind die Formate der Sieverding zu groß und das Werk zu umfangreich, aber immerhin ein Überblick. Eine weitgehend vollständige Dokumentation ihrer Arbeit bietet der ausführliche Katalog.

Katharina Sieverding ist eine Sphinx der Kunstszene genannt worden; wie um das Bild zu bestätigen, hat sie das Foto der rätselhaften goldenen Maske für die Plakate zur Ausstellung ausgewählt, als Ikone ihrer selbst. Die Presse hat sich im vergangenen Jahr, als Sieverding Deutschland auf der Biennale von Venedig vertrat, heftig bemüht, dieser Gesichtsoberfläche eine Story zuzuordnen. Sie war Meisterschülerin von Beuys, hat als gender-hoppender „Karl“ vampmäßig aufgemacht in der Düsseldorfer Szene gejobbt, in den 70ern dann einen Sommer beim Zirkus als Partnerin einer Messerwerferin verbracht, ihre drei Kinder zu Hause geboren: Das sind die beliebtesten biographischen Details.

Beim Gespräch zur Ausstellung dagegen ist die 53jährige Sieverding, die seit einigen Jahren an der Berliner Hochschule der Künste lehrt, ganz Professorin: kühl, kontrolliert und very sophisticated. Es wirkt überraschend, wenn sie auf die Frage nach dem Ziel ihrer Kunst ohne zu zögern das große und so gar nicht postmoderne Wort „Aufklärung“ in den Mund nimmt.

Ende der 70er hat Katharina Sieverding begonnen, Bilder aus den Massenmedien zu verarbeiten und die politischen Kommentare expliziter zu formulieren. „Norad“ ist der Titel eines Zyklus von 1980: Das ist der Name einer amerikanischen unterirdischen Kommandozentrale. Ihre schemenhaften, grün leuchtenden Umrisse sind kombiniert mit den kaum zu erahnenden Zügen des Todesengels aus Cocteaus Film „Orphée“ in intensivem Rot; die leicht gegeneinander verschoben an die Wand gehefteten Fotobahnen, aus denen sich das Bild zusammensetzt, deuten die finale Sprengung schon in der Form an.

In dem Zyklus „Kontinentalkern“ hat Sieverding das Thema radioaktive Strahlung ganz materiell umgesetzt: Fotos von Hiroshima-Überlebenden, ein Filmstill des Flugzeuges, das die Bombe abwerfen wird, sind grobrasterig reproduziert und mit Uran bearbeitet, was die Motive teilweise unter weißen Schleiern verschwinden läßt. Daß man bei diesen Themen niemals versucht ist, an 80er-Jahre- Anti-AKW-Aufkleber zu denken, liegt an der magischen Aura, die Sieverding ihrem Material in der Black box der Dunkelkammer verpaßt: Begriffe wie Solarisation, die die Verfremdungseffekte technisch erklären könnten, lösen den alchimistischen Zauber der Bilder genauso wenig auf wie das Wissen darüber, was für Motive auf diesen immer etwas rätselhaften Pixel- und Farbkonglomeraten eigentlich zu sehen sind. Die Fotos der Sieverding scheren aus der Kette der Reproduzierbarkeit aus und werden in der komplizierten Bearbeitung zu Unikaten, vergleichbar mit der Malerei. Ihre durchweg großen Formate behaupten sich gegen jedes Tafelbild.

Mit ihren „Kristallisationen“ aus den 90ern beginnt Sieverding die Auseinandersetzung mit dem naturwissenschaftlichen und medizinischen Diskurs und präsentiert eine Abstraktion, die gleichzeitig genaues Abbild des Menschlichen ist: Die graphischen Linien und Zacken sind vergrößerte Blutgerinnungsbilder, wie sie in der alternativen Medizin zur Diagnose verwandt werden. Der Serie der „Steigbilder“, aus der auch die Totenschädel und Kehlkopfbilder ihres Biennale-Beitrags stammten, liegen Röntgenbilder zugrunde, die sie erst digital im Computer, dann analog im Entwicklerbad bearbeitet und kombiniert hat. Das Innere des Menschen transparent machen, Analogien zwischen Ich und Welt, Mikro- und Makrostrukturen aufspüren: Das ist das Prinzip.

Wobei diese Arbeiten in ihrer kalten Präzision von jeder Esoterik glücklicherweise weit entfernt sind. In „Weltbild 1“ von 1997 kombiniert Sieverding Gehirn und Lungengewebe mit ihrem digitalen Pinsel zu einer feinen Struktur, wie von da Vinci gezeichnet. Fotografie auch das. Elke Buhr

Katherina Sieverding. Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, bis zum 1. März 1998, danach im Stedelijk Museum of Modern Art, Amsterdam. Katalog: „Katharina Sieverding 1967 bis 1997“, Oktagon-Verlag 1997, 319 Seiten