Das Portrait
: Plaste und Elaste für Gaumen und Sinne

■ Walter E. Diemer

Kauen, weiß Meyers Großes Taschenlexikon, nennt man beim Menschen und bei vielen Tieren die Zerkleinerung der Nahrung mit Hilfe bestimmter Kauorgane. Die Bewegungen des bezahnten Unterkiefers gegen die Zahnreihen des Oberkiefers setzen sich dabei aus der Schlitten- und der Mahlbewegung zusammen. Dieser nützliche Vorgang vollzog sich ein paar hunderttausend Jahre auf ähnliche Art und Weise. Dann kam Mitte des vorigen Jahrhunderts das kleine Etwas in die Welt, das die Kaubewegung zum Selbstzweck erhob, und siehe: Es gefiel den Menschen.

Die feste, durch Kauen gummiartig werdende Masse aus Chiclegummi wurde ab 1870 unter Zusatz von Zucker und Aromastoffen in den USA zunächst zum Verkaufsschlager und 75 Jahre später in Deutschland zum Symbol der Befreier von den Nazis. Das hätte es vermutlich nicht ohne die Erfindung von Walter E. Diemer werden können. Diemer war Buchhalter einer Kaugummi-Firma in Philadelphia und mischte 1928 versehentlich Zusatzstoffe unter die Gummimasse, die sich vortrefflich zur Blasenbildung eignete. Diemers Firma übernahm das Rezept und verkaufte das Produkt unter dem Namen „Dubble Bubble“.

Das regressive Ich, das sich bis dahin mit schnödem Kauen und der Erzeugung von Speichelsekreten zufriedengeben mußte, konnte sich nun an der Illusion einer wunderbaren Selbstvergrößerung abarbeiten. Das Spiel mit Bubbles gilt ferner als Zeichen für laszive, orale Mundspiele, derzeit gut zu studieren in Adrian Lynes „Lolita“ nach dem Roman von Nabokov. Das Geburtstrauma, ein spielerisches Munderzeugnis. Das Kind, so Freud, mache sich für den Lustgewinn von der Zustimmung der Außenwelt unabhängig.

Nicht zuletzt deshalb war das Kaugummi der Kulturkritik immer ein wenig verdächtig. Das Bubble Gum stand ganz oben auf der Liste der „geheimen Verführer“, das Sinnbild des Konsumismus. Walter E. Diemer hat aus seiner Erfindung außer der Freude, die er Millionen von Kindern gemacht hat, keinen zählbaren Reichtum gezogen. Ihr Mann sei nie am Gewinn beteiligt worden, sagte Diemers Witwe. „Sein Lohn waren Hunderte von Briefen, in denen sich Kinder bei ihm bedankten. Harry Nutt