Groers Kardinalssünden

In Österreich hat die Affäre um Wiens ehemaligen Erzbischof Debatten über die Kirche und Sexualität ausgelöst  ■ Aus Wien Ralf Leonhard

Als Clemens Lashofer, der Abt des Benediktinerstiftes Göttweig, kurz nach Neujahr den Rücktritt von „Pater Hermann“ als Prior des Stifts Maria Roggendorf bekanntgab, wunderten sich wenige. Hans Hermann Groer, Österreichs einziger Kardinal, war schon vor drei Jahren als Erzbischof von Wien abberufen worden und hatte sich mit seiner Lebenslüge hinter Klostermauern zurückgezogen, um sich aus der Schußlinie schwerer Anschuldigungen zu retten. Der Kirchenmann, so hatte ein ehemaliger Zögling ausgepackt, hätte in den 70er Jahren als Leiter eines Priesterseminars zahlreiche Seminaristen sexuell belästigt. Die offizielle Kirche wies damals die Vorwürfe empört zurück, Groer schwieg beharrlich.

Auslösend für das Outing des Exzöglings Josef Hartmann war „die unerträgliche Heuchelei“ des Erzbischofs gewesen. „Täuscht euch nicht!“, hatte er in einem Hirtenbrief gewettert: „Weder Unzüchtige noch Götzendiener, weder Ehebrecher noch Lustknaben, noch Knabenschänder werden das Reich Gottes erben.“

Die Gewohnheit Groers, auch in der Ordensgemeinschaft von Göttweig jungen Mönchen zu nahe zu treten, war schließlich der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte. Obwohl über Kardinäle allein der Papst richten darf, kündigte Abt Lashofer eine Untersuchung der Vorwürfe gegen den 78jährigen Mitbruder an. Daß der Vatikan einen kanonischen Prozeß einleitet, ist angesichts der bisherigen Haltung des Heiligen Stuhls unwahrscheinlich. Nicht einmal eine von manchen Bischöfen gewünschte „Apostolische Visitation“ dürfte veranlaßt werden.

Der Umgang der Kirche mit Sexualität im allgemeinen und Homosexualität im besonderen ist durch den Fall erneut zum Gegenstand hitziger Debatten geworden. Homosexualität wird von der Kirche als Krankheit betrachtet, mit der jeder selbst fertigwerden muß. Daß auch viele Geistliche an dieser „Krankheit“ leiden, wird nur dann zugegeben, wenn ein Skandal nicht mehr zu verheimlichen ist. Für Kardinal Joseph Ratzinger, den gestrengen Vorsitzenden der vatikanischen Glaubenskongregation, ist zwar das Leiden an „widernatürlicher Sexualität“ selbst keine Sünde mehr, solange man es nicht auslebt. Sündhaft sei es hingegen, homoerotischen Neigungen praktisch nachzugeben.

Christoph Schönborn, Groers Nachfolger als Erzbischof von Wien, weicht keinen Millimeter von der vatikanischen Linie ab. Kurz vor Jahresende suspendierte er den Wiener Pfarrer Johannes Wahala, der mit altkatholischen und protestantischen Geistlichen ökumenische Gottesdienste für schwule und lesbische Gläubige organisierte. In all jenen Punkten, die in der evangelischen und altkatholischen Kirche ihren Tabucharakter verlieren, will der Vatikan keine Diskussion zulassen. Das Zölibat, der Ausschluß von Frauen aus der Liturgie, die Ausgrenzung sexueller Minderheiten müssen von den Katholiken akzeptiert werden. St. Pöltens erzkonservativer Bischof Kurt Krenn verweigert sogar geschiedenen Frauen das Sakrament der Kommunion.

Im Kirchenvolk, das diese mittelalterliche Gängelung nicht widerspruchslos akzeptieren will, gärt es schon lange. Die Affäre Groer zog eine Welle von Kirchenaustritten nach sich. Das vor einigen Jahren von katholischen Laien initiierte Kirchenvolksbegehren wurde von Tausenden engagierten Christen unterschrieben. Die Bewegung „Wir sind Kirche“ ist so stark, daß Kardinal Ratzinger es für notwendig hielt, die österreichische Bischofskonferenz ausdrücklich aufzufordern, der Initiative das Wasser abzugraben. „Diese Gruppen“, so der Chefideologe des Vatikans, „tragen zur Spaltung zwischen dem Volk Gottes und der kirchlichen Leitung bei.“ Sie propagierten „ein unannehmbares demokratisches Kirchenmodell.“

Zuletzt erhielten Österreichs Kirchenkritiker jedoch Schützenhilfe von prominenter Seite. Reinhold Stecher, der im Dezember aus Altersgründen sein Amt als Bischof von Innsbruck niederlegte, verabschiedete sich mit einer gepfefferten Replik auf die päpstliche Einschränkung der Einbindung von Laien. „Die Tendenz, menschliche Ordnungen und Traditionen höher zu werten als den göttlichen Auftrag, ist das eigentlich Erschütternde an manchen Entscheidungen unserer Kirche am Ende dieses Jahrtausends.“

Besonders empörend findet Stecher den Umgang des Vatikans mit verheirateten Priestern, die von ihrem Gelübde entbunden werden wollen und den Kirchensegen für ihre Kinder erbitten. „Auch hier gibt es nur das unbarmherzige Nein. Was hat der Herr gesagt? Hat er nicht gesagt: ,Wer nicht verzeiht, dem wird nicht verziehen‘?“ Obwohl Stechers Schreiben nicht zur Veröffentlichung bestimmt war, vertiefte er den Bruch in Österreichs Kirche. Während Bischof Georg Eder, Erzbischof von Salzburg, es für angebracht hielt, sich beim Papst für den ungehörigen Kollegen zu entschuldigen, haben zehn Prozent der österreichischen Priester den Brief inzwischen unterschrieben.