Der Schockierenste von allen

■ Axel Schneider holt „Helden wie wir“, den Wenderoman von Thomas Brussig, auf die Bühne des Altonaer Theaters. Eine wohltuend zurückhaltende Inszenierung, die nicht an Deutlichkeit spart

Die „kleine Trompete“blieb in der Unterhose. Als Franz-Joseph Dieken sich auszuziehen begann, befürchtete man das Schlimmste. Doch den Kleinsten von allen, der durch einen wundersamen Unfall zum Größten von allen wächst und mit seinen schockierenden Ausmaßen für die Öffnung der Berliner Mauer sorgt, entblößte er nicht.

Was für ein Glück. Denn das hätte den witzig-intelligenten Phallozentrismus in Thomas Brussigs Roman Helden wie wir in die platte Körperlichkeit befördert. Axel Schneiders Inszenierung am Altonaer Theater umschifft solche Klippen elegant und nimmt dem 1995 als langersehnter Wenderoman gefeierten Text nichts von seiner satirischen Schärfe. Erst nach der störenden Pause verliert das wortgewaltige Stück an Tempo und Bissigkeit – was aber auch an der Romanvorlage selbst liegen mag. Die anfangs hochkomische und durchaus realistische Schilderung einer repressiven Kindheit und Jugend in der DDR verliert sich allmählich im Absurden. Und paßt damit immerhin ins Konzept der Reihe „absurder montag“, in deren Rahmen sie auf der Foyerbühne zu sehen ist.

Brussigs Romanheld, der Ostberliner Klaus Uhltzscht, denkt kaum an etwas anderes als an seinen Puller, seinen Pimmel, seinen Schwanz. Der Sohn einer sauberkeitsfanatischen Hygiene-Inspektorin und eines autoritären Stasi-Offiziers, der schließlich in die beruflichen Fußstapfen seines Vaters tritt, ist der Prototyp des Zwangsneurotikers. Franz-Joseph Dieken spielt diesen nicht gerade sympathischen Klemmi mit grandiosem Einsatz. Als Klein-Klausi staunt er mit großen Augen über die Wunder der Welt. Waaas? Sein schamhafter Vati soll den Pimmel in die saubere Möse seiner Mutti stecken? Das kann nicht sein.

In rasantem Tempowechsel mimt Dieken nicht nur den verwirrten Klausi, der immer alles als letzter kapiert, sondern auch die aufgeklärten Jungs aus dem Ferienlager und die entsetzten Eltern am Eßtisch. Er spitzt das Mäulchen zu Muttis Bedenken und öffnet die klausi-verklemmten Beine zu Vatis Breitschenkeligkeit. Und er baut in den kurzen Pausen zwischen den einzelnen Szenen auch noch die einfach, aber einfallsreich konstruierte Bühne (Mechthild Hempel) um. Aus den variablen grauen Klötzen formt er wahlweise einen riesigen Tisch, hinter dem gerade mal sein Kopf hervorgucken kann, oder eine Kloschüssel, vor der Mutti ihn wertneutral darauf aufmerksam macht, daß es „schnuppert“.

Gerade in den Kindheitsszenen brilliert Franz-Joseph Dieken mit seinem sensiblen Spiel, das trotz aller Situationskomik nie ins Lächerliche abgleitet. Auch ohne Stripshow entblößt er die Wurzeln eines Zwangsneurotikers. Eine wohltuend zurückhaltende Inszenierung, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrigläßt. Karin Liebe

bis 16. Februar, jeweils montags, 20 Uhr