Ästhetik ohne Widerstand

■ Peter Weiss Tage des Bremer Theaters, Ästhetik des Widerstands, Teil 1: Eigentlich wollte man über Peter Weiss reden. Am Ende betrauerte man im Concordia vor allem die linke Perspektivlosigkeit

Was waren das für Zeiten, als radikale Linke wie der Schriftsteller Peter Weiss die Kunst als Verbündete betrachteten, um das richtige Leben im Falschen zu ermöglichen.

Faschismus, Kapitalismus, Stalinismus – die Gegner waren mächtig, aber der genaue, emphatische Blick auf Picassos Wandbild 'Guernica', den Pergamon-Fries oder Théodore Géricaults Gemälde 'Das Floß der Medusa', er sollte, hoffte Weiss, „helfen“, dem mörderischen Feind die Stirn bieten und zugleich endlich Mensch unter Menschen sein zu können. Tja, was waren das eigentlich für Zeiten?

Offenbar solche, die ein Teil der Linken 15 Jahre nach dem Tod von Weiss nur noch schwer erinnert. Zumindest glich die Kunstdebatte zu Peter Weiss' Monumentalwerk „Die Ästhetik des Widerstands“im überfüllten Concordia vor allem einem beredten Schweigen im Angesicht der eigenen Sprachlosigkeit . Ja sicher, da war mal was. Nur was?

Da saßen sie nun: Wulf Herzogenrath, Direktor der Kunsthalle, die Galeristin Katrin Rabus und der Literaturwissenschaftler Peter Bürger. Mit „den Worten von Peter Weiss im Ohr“, wie der Moderator Rainer Berthold Schossig im Anschluß an die beeindruckende Lesung Andreas Herrmanns und die weitaus weniger beeindruckende Videoinstallation zweier Berliner Autoren nicht müde wurde zu betonen, galt es zu fragen, wie denn heutzutage noch umzugehen sei mit den Weisschen Ansprüchen und Sehnsüchten. Diese antiquierten Begehrlichkeiten der Politik: längst weiß sie die Kunst doch abgeschüttelt und sonnt sich wieder im klaren Bewußtsein, etwas, wie Rabus bemerkte, „ganz anderes zu sein als das, was Weiss von ihr erwartet hat.“

Herzogenrath sah sich immerhin noch herausgefordert von Weiss' „kunstgeschichtlich zwar falschen, aber unorthodoxen Bildbeschreibungen“. Katrin Rabus aber bekannte, sie würde ihren Kindern „nicht 'Die Ästhetik des Widerstands' zu lesen geben, wenn ich ihnen etwas über das Verhältnis Kunst und Politik vermitteln wollte“. Schließlich sei das Werk zeitgeschichtlich zu kontaminiert – und damit keine große Kunst? – und formuliere zudem nur einen instrumentellen und politisierenden Bezug zur Kunst.

Also muß die radikale Linke, sollte ihr am revolutionären Projekt von Weiss noch etwas gelegen sein, auf den Rabusschen Nachwuchs wohl oder übel verzichten. Aber vielleicht hat der ältere Herr ja viele, viele Kinder, der kurz vor Ende der zähen und von großer Ratlosigkeit gekennzeichneten Podiumsdiskussion anmerkte, die Probleme der PodiumsteilnehmerInnen mit dem Weisschen Anliegen rührten wohl daher, daß sie sich von der radikalen Kritik des Bestehenden längst verabschiedet und Frieden mit dieser Welt geschlossen hätten. Er jedenfalls würde Kindern gerne die Ästhetik des Widerstands in die Hand drücken. „Ich sehe überhaupt nichts anderes, das man empfehlen könnte.“Woraufhin das Publikum dankbar applaudierte, während die Herren und die Dame peinlich berührt auf den Sesseln herumrutschten, ehe Peter Bürger gestand: „Geben wir es doch ruhig zu. Eine bestimmte Linke hat sich mit der Wende 1989 selber abgeschafft. Und wir, wir haben den Widerstand schlicht vergessen.“

Vielleicht ist es unter diesen Umständen sogar gut, daß Weiss früh gestorben ist. Denn wer tot ist, muß sich über die Lebenden und deren Perspektivlosigkeit nicht mehr grämen. zott