Ein kleiner Betrüger und eine große Karriere

■ Die Anti-Korruptions-Feldzüge des türkischen Ministerpräsidenten Yilmaz haben für ihn einen willkommenen Nebeneffekt: Seine ewige Erzrivalin Çiller wird politisch vernichtet

Selcuk Parsadan war ein kleiner Betrüger und Hochstapler. Bei der ehemaligen türkischen Ministerpräsidentin Tansu Çiller gelang ihm der große Coup. Er wies sich als pensionierter General aus, rief sie an und sagte, er wolle Çillers „Partei des rechten Weges“ beim Wahlkampf helfen. Er habe eine Truppe organisiert, doch es fehle am nötigen Kleingeld. Die Millionärin Çiller, die um des Geldes Macht weiß, erklärte dem mutmaßlichen General, daß er sich um Geld keine Sorgen machen müsse. Aus dem Geheimfonds des Ministerpräsidenten werde sie Geld bereitstellen. Der Betrüger holte fünfeinhalb Milliarden Türkischer Lira in bar ab — rund 100.000 Mark, ein kleiner Betrag.

Die kleine Geschichte steht mittlerweile in türkischen Gerichtsakten. Parsadan wurde zu einer sechsjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. In dem Gerichtsurteil steht auch, daß Tansu Çiller den Betrag an Parsadan auszahlen ließ. Sollte in wenigen Wochen der Kassationshof das Urteil bestätigen, ist der Weg dafür geebnet, daß Tansu Çiller sich wegen Amtsmißbrauch vor dem Verfassungsgericht verantworten muß. Hebt das Parlament dafür ihre Immunität auf, könnte Çiller bereits im Februar auf der Anklagebank sitzen.

Nur durch die Koalition mit der islamistischen Wohlfahrtspartei konnte sich Çiller, der immer wieder Amtsmißbrauch und persönliche Bereicherung vorgeworfen wurden, bisher vor parlamentarischen Ermittlungsausschüssen retten. Heute sehen die Kräfteverhältnisse im Parlament anders aus. Çillers Erzrivale, der heutige Ministerpräsident Yilmaz, arbeitet seit Jahren daran, die politische Karriere der auch in der Öffentlichkeit verrufenen Çiller zu beenden. Nicht die großen Korruptionsvorwürfe, nicht die Schreckensgeschichten der Kollaboration von Politik und Organisierter Kriminalität, wie sie jetzt ans Tageslicht kamen, sollen Çillers politisches Ende besiegeln. Sondern eine kleine Betrügergeschichte. Ömer Erzeren