Die Türkei im kriminellen Sumpf

Die von Premier Yilmaz angeforderte Untersuchung der Verstrickungen zwischen Politik und Mafia in der Türkei ist nun fertig. Wird sie auch veröffentlicht?  ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren

Hochrangige Politiker, Geheimdienstler und Militärs in der Türkei müssen um Kopf und Kragen fürchten: Seit Anfang dieser Woche hält Ministerpräsident Mesut Yilmaz den Abschlußbericht einer Untersuchungskommission in den Händen, die in seinem Auftrag die Verstrickungen von Staat und Organisierter Kriminalität offengelegt hat. Die Grundaussagen des noch nicht veröffentlichten Berichts, so übereinstimmend die türkischen Medien, sind brisant.

Demnach wurden kurdische Geschäftsleute, die der Unterstützung der PKK bezichtigt wurden und in Drogenschmuggel verwickelt waren, von einer kriminellen Organisation, die mit dem Staat zusammenarbeitete, ermordet. Diese staatlich gedeckte Mafia habe dann den Drogenhandel selber übernommen und sei eigenmächtig aktiv geworden. Staatliche Institutionen hätten Kriminelle eingesetzt, sie gedeckt und mit Ausweisen versorgt. Nach dem Militärputsch 1980 seien faschistische Attentäter im Ausland gegen die armenische Terrororganisation „Asala“ eingesetzt worden. Auch bei einem mißglückten Staatsstreich in Aserbaidschan 1994 arbeiteten türkische Geheimdienstler mit kriminellen Banden zusammen. Nach 1993 seien rund 50 Millionen US-Dollar aus dem Geheimfonds des Ministerpräsidenten für Waffenkäufe eingesetzt worden. Die Waffen, die amtlich nicht registriert wurden, waren schließlich bei Todesschwadronen und Drogenbossen, die mordeten, in Umlauf.

Die Hauptaussagen des Berichtes decken sich mit Informationen, die nach einem Verkehrsunfall im November 1996 ans Tageslicht drangen. Damals war die gepanzerte Mercedes-Limousine des Abgeordneten Sedat Bucak verunglückt – in dem Auto saßen neben Bucak, der als einziger überlebte, der gesuchte Killer Abdullah Catli sowie der hochrangige Polizeifunktionär Hüseyin Kocadag. Der verunglückte Mercedes beherbergte dazu ein ganzes Waffenarsenal, Catli trug einen vom damaligen Innenminister Mehmet Agar unterzeichneten Ausweis, der ihn als Polizeiexperten auswies. Im Laufe der Ermittlungen kam zum Vorschein, daß festgenommene Mörder auf Geheiß des Innenministers freigelassen wurden.

Schon damals wurde der Verdacht erhärtet, daß eine kriminelle Bande aus Politikern, Spitzen des Polizeiapparats und Anti-PKK- Sondereinheiten nicht nur die Todesschwadrone gegen Regimekritiker kontrollierte, sondern auch im Heroingeschäft mitmischte. Eine parlamentarische Untersuchungskommission förderte bereits letztes Jahr trotz erheblicher Einschränkungen – Staatsgeheimnisse und Geschäftsgeheimnisse blieben tabu, geladene Zeugen weigerten sich auszusagen – Erschreckendes zu Tage.

Nach seinem Amtsantritt im vergangenen Herbst versprach Mesut Yilmaz, den kriminellen Sumpf in der türkischen Politik trockenzulegen. Vergangenen Monat hob das türkische Parlament die Immunität des ehemaligen Polizeipräsidenten und späteren Innenministers Mehmet Agar und des Abgeordneten Bucak auf. Beide sind enge Vertraute von Ex- Ministerpräsidentin Tansu Çiller. Beide müssen sich nunmehr wegen Gründung einer kriminellen Bande, Hilfe für steckbrieflich gesuchte Personen und Amtsmißbrauch vor dem Staatssicherheitsgericht in Istanbul verantworten.

Allein Ex-Innenminister Agar drohen insgesamt 18 Jahre Gefängnis. Die Beschuldigten verteidigen sich damit, daß sie im staatlichen Auftrag gehandelt hätten. Ex-Innenminister Agar: „Ein Mann, der für den Staat gearbeitet hat, nimmt seine Geheimnisse mit ins Grab.“ Der Staat soll sich nicht wie ein Skorpion selbst stechen, beschwor Agar auf der parlamentarischen Sitzung, in welcher seine Immunität aufgehoben wurde.

Doch in welchem Ausmaß Yilmaz die Öffentlichkeit über die Ergebnisse der neuesten Untersuchung informieren wird, ist bislang unklar. Außer Staatsgeheimnissen, so Yilmaz, werde er den Bericht nach Beratungen mit seinen Koalitionspartnern und mit dem Nationalen Sicherheitsrat, in welchem die Militärs den Ton angeben, der Öffentlichkeit zugänglich machen. Es ist fraglich, was dabei herauskommt. Zu sehr ist der kriminelle Sumpf Teil des herrschenden Systems der Guerilla-Bekämpfung außerhalb der Legalität mit Todesschwadronen und Drogenbossen. Niemand weiß das besser als der Vorsitzende der Untersuchungskommission, Kutlu Savas. „Daß der Herr Ministerpräsident alle Informationen des Berichtes veröffentlichen kann“, so Savas, „das glaube ich nun wirklich nicht.“