Versammlung loser Materialpartikel

■ Sylvester Stallone unterbietet als genetischer Gesetzeshüter Judge Dredd seine Comic-Vorlage

Nach einer irgendwie üblichen, kurz einführenden Vorgeschichte (Gut gegen Böse, postapokalyptisches Zeitalter in der Zukunft etc.) finden wir uns mitsamt unserer erwartungsfrohen Aufmerksamkeit alsbald in einer wildgefährlichen, schießprügel-, raketen- und mit allerlei anderem technischen Schnickschnack bewehrten Straßenschlacht wieder. Klar, daß erst hier, in diesem ausgesuchten und einzig angemessenen Szenario, mit der gebührenden Gerade-noch-rechtzeitig-Verspätung unser Allesretter Judge Dredd (Sylvester Stallone) in Erscheinung treten darf. Sein schwarz-rot-gold behelmter Kopf schiebt sich fast leinwandgroß in das Bild. Das verdunkelte Visier seines Helmes versperrt den Blick auf seine Augen, sein Antlitz bleibt vorerst ungesehen, seine ungerührte Gestalt ist bis hierhin überhaupt makellos und damit ehrfurchtgebietend.

Plötzlich wird auf der unteren, freiliegenden Gesichtshälfte eine Regung sichtbar, eine Zuckung fast, die sich dann eher widerwillig zu einem Sprechen durchringt. Doch siehe, geheiligtes Entgleiten, bevor dies geschehen kann, ergießt sich die Unterlippe zur rechten Seite steil hinab. Und erst jetzt spricht es uns, noch etwas ungelenk zwar, aber doch autoritätsgeladen, (sinngemäß) entgegen: „Ich bin das Gesetz!“ Dies ist, zumal in seiner ganzen Bemühtheit, eine folgenschwere Aussage, mehr noch ist es die Urszene des Gesetzes und seines Helden. Hier geht es offenkundig um alles, mindestens aber um sehr viel – wird jedenfalls behauptetKein filmisches Ereignis ist aber einfach nur unmittelbar, sondern kalkuliert, nicht nur berechnend selbstgenügsam, sondern vielmehr eine mehr oder weniger geglückte Versammlung loser Materialartikel – wie Stallones hängende Unterlippe.

Dabei soll es immer so aussehen, als ob sich der Held in einer vorgefundenen Situation bewähren muß. Doch verhält es sich eher umgekehrt: Der Held schafft sich die Situation, in der er sich zu bewähren hat, er kreiert sich selbst erst mit ihr und in ihr. Der Held erscheint so in der Situation der Bewährung als die unmittelbare Einheit von Wort und Tat, er ist reine Gewalt und zugleich orientierender Sinn. Und in diesem Sinne ist er sich selbst das Gesetz. So gesehen kann der Held auch nur an sich selbst scheitern, er ist im Tiefsten seinen Wesens tragisch.

Stallone aber ist komisch, und das unfreiwillig. Aus diesen Gründen kann er kein Held sein, im tragischen Sinne noch nicht einmal an sich selbst scheitern. Judge Dredd als Film versucht sehr aufwendig und teuer die Rekonstruktion eines Helden. In seiner eigentümlichen Mischung aus Blade Runner, Die Rückkehr der Jedi-Ritter und Robocop mißlingt dies allerdings. Dies um so mehr, als die Comic-Vorlage ihm in einem wesentlichen Punkt uneinholbar vorausbleibt. Wenn der Judge Dredd im Comic auch schon mal jemanden erschießt, weil er bei Rot über die Rampel gefahren ist, so erstattet dies dem Helden seine ihm grundlegende Ambivalenz zurück – das regulative Prinzip zwischen Gewalt und Sinn, das Prinzip des Helden also, steht vor aller Moral. Erst in dieser scharfen Perspektive stellen sich all die Fragen nach seiner Notwendigkeit oder auch Unmöglichkeit, anstatt es immer nur vorauszusetzen und in seiner Heillosigkeit auch noch wiederzubeleben. Christian Schlüter